Prototypen für Gußform
Guericke-Büste mit Hilfe von Rapid-Prototyping vervielfältigt
Vor etwa einem Jahr wurde von der Otto-von-Guericke-Gesellschaft das Anliegen an das Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung (IFQ) herangetragen, unter Nutzung seiner modernen produktionstechnischen Ausstattung zur Pflege und Verbreitung des Erbes Otto von Guerickes beizutragen. In Erwartung der kulturellen und kulturhistorischen Ereignisse der Stadt und ihrer Universität (BUGA 99, 400. Geburtstag Otto von Guerickes) wurde als erstes Projekt die Reproduktion einer Otto-von-Guericke-Büste in Angriff genommen.
Die Suche nach geeigneten Büsten als Urmodell, von denen direkt Gußformen abgenommen werden konnten, war nicht erfolgreich. Der herkömmliche Weg in dieser Situation wäre, unterschiedlich große Skulpturen mit handwerklichen Mitteln zu schaffen, die sicherlich jeden finanziellen Rahmen gesprengt hätten. So entstand die Idee, die Konturen einer vorhandenen Büste zu digitalisieren. Nach diesen Daten könnten moderne Rapid-Prototyping-Maschinen in sehr kurzer Zeit Modelle (Prototypen) herstellen. Da es sich um digitale Daten handelt, können diese in beliebiger Größe skaliert und auch gebaut werden.
Das gefundene Ur-Modell
Die Wahl der Vorlage fiel auf die Büste aus dem Senatssaal der Universität. Sie ist ein Bronze-Hohlkörper mit einer Höhe von etwa 650 mm.
Otto-von-Guericke-Büste aus dem Senatssaal
Für die digitale Erfassung von Oberflächenkonturen gibt es verschiedene Möglichkeiten, z.B. optische oder taktile Meßgeräte bzw. Scanner. Die anfänglich favorisierte Lösung, die Büste am Institut für Maschinenkonstruktion (IMK) optisch auf einem 3D-Scanner (OptoShape Uni, Fa. MASSEN) aufzunehmen, scheiterte an deren Abmessungen. Die deshalb durchgeführte Abtastung auf einer Koordinatenmeßmaschine am IFQ erforderte zwar einen wesentlich höheren Zeitaufwand, weil auch die mechanischen Taster objektbezogen angepaßt werden mußten, aber das punktgenaue Abtastergebnis mit 800.000 Punkten in 500 radialen Profilschnitten rechtfertigte diesen Aufwand.
Der nächste Schritt war die Erarbeitung eines geeigneten Volumenmodells aus dem erfaßten Punktmodell. Die einfachste Beschreibung besteht aus einzelnen Dreiecksflächen, sogenannten Facetten, die zwischen benachbarten Punkten aufgespannt werden. Diese sogenannte Polygonisierung muß ein wasserdichtes Volumen ergeben. Weil es sich um ein geometrisch schwer beschreib- und erfaßbares Objekt handelt, mußten zahlreiche Fehler sowohl in den Punktdaten als auch in der Polygonisierung einzeln berichtigt werden. Zusätzlich sollte die Büste durch digitale Modellierung eine sichere Standfläche erhalten. Diese Datenaufbereitung wurde am IMK durchgeführt.
Verschiedene Verfahren
Zu Vergleichszwecken sollten Prototypen mit den am IFQ und am IMK vorhandenen Rapid-Prototyping-Maschinen gebaut werden. Das erste Modell wurde auf der LOM-Maschine des IMK als Papierschichtmodell erzeugt. Es folgten weitere Prototypen aus laseraushärtendem Kunstharz (Stereolithographie-Anlage am IFQ) und aus aufgeschmolzenem Wachs (ModelMaker am IMK). Mit diesen Modellen konnten bereits verschiedene Gießprozesse vom Mineral- bis zum Bronzeguß mit unterschiedlichsten Verkleinerungsmaßstäben realisiert werden. Die kleinste Reproduktion der Otto-von-Guericke-Büste hat eine Höhe von nur 75 mm. Nach oben werden die Büsten-Abmessungen durch die Arbeitsräume der RP-Anlagen begrenzt. Das größte hergestellte Stereolithographie-Modell besitzt einschließlich des Sockels eine Höhe von ca. 300 mm. Auf der LOM-Maschine könnte die Büste sogar in Originalgröße gebaut werden.
Guericke-Büste als Papierschichtmodell
Modell der Guericke-Büste aus laseraushärtendem Kunstharz
Die vorliegenden ersten Musterbüsten sind Ausdruck für die hohe Abbildungsgenauigkeit der eingesetzten RP-Verfahren und zugleich Bestätigung dafür, daß sich mittels der Prozeßkette Digitalisierung, 3D-Datenaufbereitung, Rapid Prototyping und Gießen derartige Aufgabenstellungen aus der Kulturhistorik mit hoher Qualität bei vertretbarem Aufwand lösen lassen, wodurch diesen jungen Technologien, über ihr Hauptanwendungsgebiet der prototypischen Produktentwicklung und -erzeugung hinaus, ein weiteres interessantes Anwendungsfeld erschlossen werden konnte.