Eine Demo, ein Gesetz, eine Gebühr
Landtag von Sachsen-Anhalt beschloß neues Hochschulgesetz/Pro und Kontra zu Studiengebühren
„Es ist 5 vor 12: die Bildungsbombe tickt!“ – unter dieses Motto hatte der studentische Basiskongreß „Bildung und Gesellschaft“ die bundesweite Demonstration vor dem Landtag Sachsen-Anhalts in Magdeburg Ende Januar 1998 gestellt. In zweiter Lesung wurde im Plenarsaal das neue Hochschulgesetz beraten und verabschiedet.
Das Modell
Die Forderungen der etwa 300 Demonstrierenden blieben zwar nicht ungehört, in vielen Punkten jedoch unberücksichtigt. In die Novelle aufgenommen sehen wollten die Studierenden u.a. das Verbot der Zwangsexmatrikulation bei Überschreitung der Prüfungsfristen, die Wiedereinführung der zentral verfaßten Studentenschaft, ein Verbot von direkten und indirekten Studiengebühren sowie das Berliner Modell für die Gremienwahl. Dieses schlägt vor, daß aus jeder Statusgruppe heraus jeweils zwei Vertreter gewählt werden und zusätzlich von allen Hochschulangehörigen fünf Professoren als „Hüter der Wissenschaftsfreiheit“ bestimmt werden, um die Professorenmehrheit zu erreichen. Die Mitglieder des Ausschusses für Wissenschaft und Bildung des Landtages teilten mit, daß es nicht mehr möglich war, dieses Modell in der Beschlußempfehlung zur Änderung des Landeshochschulgesetzes (LHG) zu berücksichtigen. Die Studentenräte führen nun am 3. März um 9 Uhr im Hörsaal 5 eine Anhörung durch, um den Abgeordneten zu beweisen, daß eine Diskussion des Modells noch möglich gewesen wäre.
Das Gesetz
„Mit der Verabschiedung dieser Novelle wird Sachsen-Anhalt eine Vorreiterrolle unter den Bundesländern übernehmen“, sagte vor den Abgeordneten Justizministerin Karin Schubert, die für den erkrankten Kultusminister Karl-Heinz Reck das Wort ergriffen hatte.
Der Hauptansatz des Gesetzentwurfs, die Stärkung der Hochschulen durch größere innere Demokratie und größere Freiheiten im Haushaltsrecht sei erfolgreich umgesetz worden, schätzte Wolfgang Ernst, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Bildung, ein. Daß über alle Hauptgruppen Deckung erreicht wurde, stärke den Handlungsspielraum der Hochschulen. Die Einführung der Erprobungsklausel führe zur Stärkung der Selbstverwaltung.
Es sei gelungen, so Ernst, mit der Professoren-Mehrheit an die Grenzen der Hochschulrahmengesetzgebung zu gehen. In Konzil und Senat ist das Verhältnis 6:2:2:1 der Sitze und Stimmen von Hochschullehrern, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Studierenden und sonstigen hauptberuflichen Mitarbeitern festgeschrieben, mit der Maßgabe, daß die Hochschullehrer über einen Sitz und eine Stimme mehr als die übrigen Mitglieder verfügen.
Der Gleichstellungsbeauftragten wird ein Wiederspruchsrecht gegen Entscheidungen von Hochschulorganen eingeräumt. Mit Sitz und Stimme ist sie in Konzil und Senat vertreten. Diesbezügliche Änderungsanträge der CDU wurden abgelehnt. Der Senat tagt künftig hochschulöffentlich und die Fakultätsräte fakultätsöffentlich, legt der mit den Stimmen von SPD und Bündnis90/Die Grünen und den Stimmenthaltungen der PDS beschlossene Hochschulgesetzentwurf nun fest. Der PDS-Abgeordnete Matthias Gärtner, selbst Student, stimmte gegen das Gesetz, da in ihm noch immer die Zwangsexmatrikulation enthalten ist.
Die Gebühren
Ein Knackpunkt in der Diskussion um das novellierte LHG waren die Studiengebühren. Für ein Studium, daß beispielsweise mit einem Diplom- oder Magistergrad abschließt oder für ein Fachhochschulstudium werden keine Gebühren erhoben, sieht das neue Gesetz vor. Für andere Zusatz- oder Ergänzungsstudien u.ä. ist das Kultusministerium ermächtigt, „eine Rechtsverordnung zur Erhebung von Lernmittelkosten zu erlassen“.
Doch damit sind die Studiengebühren lange nicht vom Tisch. Noch steht die Entscheidung auf Bundesebene über das Hochschulrahmengesetz aus. Gesprächsbedarf zu diesem Thema sah die Verbandsgruppe Magdeburg des Deutschen Hochschulverbandes, die Interessenvertretung der Hochschullehrer, und lud Anfang Februar 1998 zu einer Pro-und-Kontra-Diskussion über Studiengebühren ein.
Das Pro
Die Pro-Position vertrat Prof. Dr. Joachim Weimann von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft. Keinesfalls dürfe in einer solidarischen Gesellschaft, die den Gleichheitssatz akzeptiere, mit Studiengebühren die Chancengleichheit aufgehoben werden.
Professor Weimann entkräftete das Argument Studiengebühren sind unsozial indem er darauf verwies, daß Hochschulbildung aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werde. Steuern würden jedoch zu einem großen Teil von einkommensschwachen Haushalten erbracht. Studenten aus diesen aber seien chronisch unterrepräsentiert an Universitäten und Hochschulen. Also würden die Bezieher niedriger Einkommen jenen ein Hochschulstudium finanzieren, die nach dessen Abschluß zu den Besserverdienenden gehörten.
Dem Argument Studiengebühren erzeugen Eliten hielt Prof. Weimann entgegen: jedem solle die Möglichkeit eröffnet werden, bis an die Grenzen seiner Begabungen gefördert zu werden. Die so entstehenden Leistungseliten seien legitim, ja sogar notwendig.
Der Wirtschaftswissenschaftler betrachtete Bildungsanstrengungen als Investition in Humankapital. Also sollten auch jene, die Nutznießer der Erträge aus dieser Humaninvestition sind dafür zahlen. Die Folge der derzeitigen Nullpreispolitik der Bundesregierung in Sachen Bildung sei die schlechte Qualität einer massenhaften Ausbildung von Studierenden. Aus dem Recht auf Bildung werde schnell ein Zwang zur Bildung, denn auf immer weniger gutbezahlte Arbeitsplätze kommen immer mehr akademisch ausgebildete junge Leute.
Als Finanzierungskonzept stellte er das bereits in den Niederlanden praktizierte Modell kombinierter Studiengebühren mit einem Pauschaltransfer vor.
Das Kontra
Bildung sei ein Menschenrecht, konterte Pascal Begrich, Student an der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften, auf die Ausführungen Professor Weimanns. Bereits in den 60er Jahre hatte sich die UNO für die unentgeltliche Hochschulausbildung ausgesprochen.
Mit Gebühren einher gingen Wettbewerbsverschärfungen zwischen den Hochschulen. Dies führe jedoch nicht zwangsläufig dazu, daß sich die Studierenden die Hochschule nach der Qualität der Lehre aussuchen, sondern eher nach den Möglichkeiten, daß Studium rasch zu absolvieren. Hinzu komme noch, daß zahlreiche Sekundärfaktoren, wie beispielsweise der Wohnungsmarkt, die Wahl des Studienortes beeinflussen.
Studiengebühren seien undemokratisch, so Begrich und stellten immer einen sozialen Numerus clausus dar, da für sozial schwächere Studenten die Angst bliebe, das Studium nicht bis zum Abschluß finanzieren zu können.
Trotz der sehr wenigen Teilnehmer an dieser Pro-und-Kontra-Runde kam es zu einer lebhaften Diskussion, als deren Grundtenor eine Ablehnung von direkten Studiengebühren zu erkennen war.