Spuren im Sand
Leibniz-Preis für Erforschung von Strukturen
Er ist die höchstdotierte deutsche Forschungsauszeichnung – der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Prof. Dr. Ingo Rehberg, Lehrstuhlinhaber für Experimentelle Physik/Nichtlineare Phänomene, gehört zu den 13 Preisträgern, die ihn Anfang Februar 1998 in Bonn überreicht bekamen.
Die Welt des Experimentalphysikers sind Strukturen. Wie sie sich bilden, warum sie sich bilden oder was sie im Innersten bewegt, möchten der Wissenschaftler und sein fünfzehnköpfiges Team herausfinden. Nichtlineare Dynamik komplexer Systeme, Strukturbildungen in Natur und Technik und raumzeitliches Chaos interessieren die Physiker. Dazu vermessen sie beispielsweise die flüssigen Kristalle, die in Computerbildschirmen oder in Taschenrechnern genutzt werden. Von Interesse sind aber auch magnetische Flüssigkeiten, die in Lautsprechern Verwendung finden. Diese Flüssigkeiten enthalten nanoskopisch kleine magnetische Teilchen und können daher mit Hilfe eines Magneten gelenkt werden oder aufgrund der Gravitationskraft im Magnetfeld bizarre Zackenformen ausbilden. In der Medizin können diese Flüssigkeiten Helfer beim gezielten Einsatz von Medikamenten sein. Überlegungen gehen dahin, das Medikament in einer magnetischen Flüssigkeit in die Blutbahn zu bringen und mittels eines Magneten zum kranken Organ zu leiten. Werden diese Flüssigkeiten im Kreis durch eine Spule mit einem Wechselfeld geleitet, drehen sich die Teilchen und wirken wie ein Motor – interessant für den Pumpenbau.
Ein Körnchen Wahrheit suchen die Physiker auch im Sand. Sein Verhalten ist recht sonderbar: Durch eine Sanduhr „fließt“ er wie eine Flüssigkeit, beim Bau einer Sandburg hingegen wird er zu einem Festkörper. „Wir möchten verstehen, welche physikalischen Gesetzmäßigkeiten dem Verhalten eines solch seltsamen Materials zugrunde liegen, welchen Mustern diese granulare Materie folgt“, erläutert Professor Ingo Rehberg. Um die Strukturbildung im Sand zu studieren, steht im Labor ein Wasserbecken. In ihm wird Sand einer Strömung ausgesetzt und sein Verhalten genau beobachtet und ausgewertet.
Es sind beileibe keine Sandkastenspiele genialer Einsteins, denen die Magdeburger Physiker nachgehen. Ihre Grundlagenforschung findet beispielsweise ganz konkret Anwendung in der Fördertechnik. Mit einem Schlauchgutsenkrechtförderer wird Granulat in die Höhe gefördert. Um den Transport zu effektivieren und die Anlage für die Industrie besser nutzbar zu machen, erläutert Prof. Dr. Friedrich Krause vom Institut für Förder- und Baumaschinentechnik, Stahlbau, Logistik, sei das grundlegende Wissen um das Verhalten des granularen Materials, das Professor Rehberg und sein Team erforschen, wichtig.
Konsequent berufen
Diesem Team kommt auch der Löwenanteil des mit 1,5Millionen Mark dotierten Leibniz-Preises zugute. Beispielsweise kann in den nächsten Jahren das Gehalt eines Post-Doktoranden bezahlt werden. Das Preisgeld eröffnet auch die Möglichkeit, Gäste aus aller Welt zu gemeinsamen Seminaren einzuladen. Der Leibniz-Preis sei jedoch nicht nur Anerkennung der Leistungen seiner Arbeitsgruppe, sondern auch die Würdigung der nach der Wende eingeschlagenen Profilierung der Physik an der Magdeburger Universität, betont Professor Rehberg. Es wurde sehr frühzeitig die Chance erkannt, das in der Physik moderne Gebiet der Nichtlinearität zu etablieren. Mit diesem Ziel wurde eine konsequente Berufungspolitik realisiert. Neben Ingo Rehberg, der seine forschende Aufmerksamkeit auf die nichtlinearen Phänomene richtet, beschäftigt sich Professor Andreas Engel mit statistischer Physik und nichtlinearer Dynamik; Professor Klaus Kassners Berufungsgebiet ist die computerorientierte theoretische Physik und Professor Stefan Müller widmet sich dem Schwerpunkt Biophysik.
Es entstand ein einzigartiges Zentrum von Naturwissenschaftlern, die sich mit nichtlinearer Dynamik, Chaos, Strukturbildung und Selbstorganisation, eben mit allen Eigenschaften komplexer Systeme in der theoretischen und experimentellen Physik beschäftigen.
Gemeinsam mit den Mathematikprofessoren Lutz Tobiska und Gerald Warnecke bilden diese Wissenschaftler eine von der DFG geförderte Forschergruppe, welche aus dem universitären Forschungsschwerpunkt „Nichtlinearität und Unordnung in komplexen Systemen“ erwachsen ist. Auf die Ergebnisse dieser interdisziplinären Zusammenarbeit darf man gespannt sein.