Einfach weiter tanzen
Gesangsstudenten über ihre Bühnenerfahrungen
"Hier sind Sie richtig", ruft mir ein Herr freundlich entgegen während ich mein Fahrrad vor dem Lehrgebäude des Instituts für Musik in der Turmschanzenstraße abstelle. Ich bin mit Gesangsstudenten verabredet – nein, eigentlich schon jungen Sängern –, die ich wenige Tage zuvor im Theater der Landeshauptstadt erleben durfte. Sie standen mit sechs Kommilitonen im Opernchor auf der Bühne und sangen die Melodien aus Johann Strauß' "Zigeunerbaron".
Ganz tolle Atmosphäre
Durch das Haus klingen Klaviermusik und Gesang; stimmen mich auf meine Recherche ein. Mir gegenüber sitzen Stefan Gericke, Pawel Stanislawow und Professor Monika Köhler, die in der komischen Oper von Strauß die Zigeunerin Czipra singt. Schnell kommen wir ins Plaudern und einige Anekdoten aus dem noch recht kurzen Bühnendasein der Sänger, die im 10. Semester studieren, werden zum Besten gegeben.
Stefan Gericke war Direktpraktikant am Theater der Landeshauptstadt. Für eine Spielzeit konnte er Theateralltag live erleben – Probenarbeit, Bühnenauftritte, Premierenfeiern. "Das ist eine ganz tolle Atmosphäre am Theater und eine Supererfahrung", meint er. "Von den Sängern des Opernchores können wir viel lernen. Sie stehen mit Tips und Hinweisen jederzeit zur Seite." Das gelte besonders für die Inszenierung des Musicals HAIR, in dem die beiden Studenten auch mitwirken. Während der Produktion sei das Ensemble zu einer großen Familie zusammengewachsen. "Ihre Einbeziehung in Produktionen des Theaters der Landeshauptstadt ermöglicht den Studierenden nicht nur, Bühnenerfahrungen zu sammeln, sondern auch die Zusammenarbeit mit international renommierten Choreographen oder Regisseuren wie beispielsweise Craig Simmons," ergänzt Monika Köhler.
Rock, Pop und Walzer
Die Auftritte verlangen den jungen Künstlern das breite Repertoire ihrer Ausbildung ab, die neben dem Gesang das dramatische Spiel, Bühnenfechten, Tanzen, ja sogar Schminktechniken, beinhaltet. Singen, tanzen und schauspielern zu rockigen Klängen und Walzermelodien; die musikalischen Gegensätze könnten größer fast nicht sein. Für die Ausbildung der Sänger jedoch eine anspruchsvolle Kombination. "Um als Berufssänger bestehen zu können, ist es notwendig, verschiedene Partien und Genres zu beherrschen," erläutert die Professorin für Gesang.
Neben der Genrearbeit erlebten die beiden Studenten auch den Unterschied zwischen dem Singen im "Studierzimmer" und auf der Bühne. "Plötzlich ist alles viel lauter," meint Stefan Gericke. Filigranarbeit, wie beispielsweise im Kammerchor der Universität, der im Sommer den 2. Preis beim Internationalen Chorwettbewerb im österreichischen Spittal errang, sei im Opernchor kaum möglich; gegen ein Orchester müsse angesungen werden. Da kann es schon mal vorkommen, daß der stimmliche Übereifer gebremst werden muß. Dann steht die Lehrerin korrigierend zur Seite; ein großes Plus der praxisnahen Gesangsausbildung in Magdeburg, die vom Theater der Landeshauptstadt unterstützt wird, um den Nachwuchs zu fördern.
Wenn sie auf der Bühne stehen, tauchten sie in eine andere Welt, erzählen die beiden Sänger. Sie würden Ungar, Zigeuner oder Hippi. Und doch müßte jeder auf der Bühne auch von sich selbst ein Stück in die Rolle einbringen, um das Publikum für einige Stunden mit in diese andere Welt zu nehmen – mit zu den Zigeunern ins Temeser Banat oder zu den Hippis in die Flower-Power-Zeit. Persönliche Animositäten sollten da besser am Bühneneingang abgegeben werden; alle Leidenschaft in Gesang und Tanz fließen. Doch auch hier ist das, was so einfach klingt, oft so schwer zu machen. Pawel Stanislawow beherzigt da den Rat eines seiner früheren Lehrer: Wenn ein Sänger eine traurige Melodie singt, dürfe er auf der Bühne nie selbst weinen, es wirke lächerlich. Das richtige Maß zu finden, bieten den Gesangsstudenten die Auftritte am Magdeburger Theater Gelegenheit. Jede Vorstellung sei ein bißchen wie ein Sprung ins kalte Wasser. Da fehle plötzlich die Partnerin für den Tanz, weil die Chorkollegin erkrankt sei. Dann helfe nur improvisieren, weiß Pawel Stanislawow, verlor er doch in der letzten Aufführung des "Zigeunerbarons" vor der Sommerpause beim Walzer seinen Schuh. "Einfach barfuß weiter tanzen," kommentiert er gelassen die Situation. "Schließlich war ich doch ein Zigeuner."