Neem-Trees und Biosynthese
“Tricks" der Natur bei Wirkstoffsynthese betrachtet
Einen hochkarätigen Besucher konnte das Chemische Institut der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik im Sommer im Rahmen des Chemischen Kolloquiums begrüßen. Zu Gast war Professor Ekkehard Winterfeldt. Der Chemiker aus Hannover ist Vizepräsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und Amtsvorgänger des derzeitigen Präsidenten. Mit rund 30000 Mitgliedern ist die GDCh die größte chemiewissenschaftliche Gesellschaft Deutschlands. Ihre Aufgabe ist die Förderung der Chemie sowie des Ansehens der Chemie in der Öffentlichkeit. Prof. Winterfeldt ist ein international hoch angesehener Wissenschaftler auf dem Gebiet der Naturstoffchemie.
Unter dem Titel "Biogeneseorientierte Wirkstoffsynthese" hielt er in Magdeburg einen spannenden Vortrag über seine aktuellen Forschungsarbeiten, die auch für medizinische und pharmazeutische Anwendungen von großer Bedeutung sind. So finden sich unter den von Prof. Winterfeldt untersuchten Substanzen Wirkstoffe, die gegen bestimmte Tumorarten einsetzbar sind. Dazu gehört beispielsweise das sogenannte Agelorin, eine Substanz, die in Korallen und Schwämmen am Barrier Reef in Australien vorkommt. Es braucht nicht näher erwähnt zu werden, daß die Isolierung dieses Naturstoffs "vor Ort" von besonderem Reiz ist.
Interessante Details
Hauptziel der Winterfeldt'schen Forschungsarbeiten ist es jedoch, von der Natur zu lernen und ihre biogenetischen "Tricks" für effektive Wirkstoffsynthesen zu nutzen. Leuchtendes Vorbild aus der Natur ist beispielsweise die Biosynthese der Steroide, zu denen unter anderem das Cholesterin gehört. Die Natur bringt es fertig, das komplizierte Ringgerüst dieser biologisch ungeheuer wichtigen Stoffe in einem Schritt aus einer kettenförmigen Vorstufe (Squalenoxid) zu bilden. Chemiker im Labor tun sich da häufig wesentlich schwerer. So erwähnte Prof. Winterfeldt die erste Totalsynthese des Morphins, zu deren Vollendung 42 Stufen nötig waren! Klassische Wirkstoffsynthesen dieser Art können Monate, wenn nicht gar Jahre benötigen.
Zu den vielen interessanten Details gehörte auch die Geschichte der Neem-Trees. Indische Dörfer sind oft von einem ganzen Kranz dieser Bäume umgeben. Dort stellt man dann fest, daß sich in Reichweite der Bäume kaum Insekten aufhalten. Die Erklärung dafür ist ein in den Bäumen enthaltener Wirkstoff namens Azadirachtin, der fungizide (Pilzgift), pestizide (Schädlingsbekämpfungsmittel) und antibiotische Wirkung in sich vereinigt.
In den besagten indischen Dörfern macht man sich diese Eigenschaften zunutze, indem Blätter der Neem-Trees zum Konservieren von Lebensmitteln verwendet werden. Etwas zuviel des Guten ist vielleicht eine antibiotische Zahncreme, die ebenfalls daraus hergestellt wurde. Anekdoten dieser Art rundeten den mitreißenden Vortrag ab.