Peer Gynt - ein Träumer und Phantast

10.11.1998 -  

Ballett-Uraufführung am Theater der Landeshauptstadt

Nach der erfolgreichen Uraufführung des Effi-Briest-Balletts kreierte Ballettdirektorin Irene Schneider mit ihrer Ballettcompagnie am Theater der Landeshauptstadt erneut ein Stück Weltliteratur als faszinierendes Tanztheater. Nach Henrik Ibsens dramatischem Gedicht Peer Gynt hat sie das Libretto für ein abendfüllendes Ballett mit Musik des norwegischen Komponisten Edvard Grieg geschrieben und choreografiert. Irene Schneiders Lesart des Ibsen-Dramas betont weniger das Philosophische der Lebens-Odyssee des Peer Gynt, sondern versucht den Träumer und Phantasten in der Zauberwelt der norwegischen Berge und auf seiner Suche nach dem Sinn des Lebens als einen Anti-Helden zu zeigen. Das Leben des Peer wird auf Gedeih und Verderb bestimmt durch starke Frauen: seine Mutter Aaase, das Mädchen Ingrid, die ihn begehrt und einen anderen heiraten muß, Solveigh, die das reine, tief empfindende und ein Leben lang auf Peer Gynt wartende Mädchen verkörpert, die "Grüne", Tochter des Bergkönigs und Zauberfee, und schließlich Anitra, die geheimnisvolle Beduinenschönheit, die den tumben Peer um Hab und Gut bringt. Frauen sind sein Schicksal und seine schicksalhaften Begegnungen mit ihnen stürzen den Helden immer wieder in den Strudel der Leidenschaft, des sinnlichen Genusses, des triebhaften Suchens nach sich selbst. Was für ein Stoff, den Irene Schneider auf eine Musik choreografiert hat, die (trotz der Tatsache, daß sie über Band eingespielt wird) in ihrer wunderschönen Naturbebilderung Atmosphäre für das "Austanzen" großer Gefühle bietet. Neben den Peer-Gynt-Suiten von Edvard Grieg wurde Musik aus der Suite Aus Holbergs Zeit und der Schauspielmusik zu Sigurd Joslafar verwendet. Es ist ein Tanztheaterabend ungeheurer solistischer Leistungen und ein großartiger Ensemble-Erfolg. Eine in jeder Beziehung ideale Besetzung – Alexandre Sementshukov in der Titelrolle. Ein Tänzer voller Kraft und charismatischer Männlichkeit in den Sprüngen und Drehungen, Eleganz in den Paartänzen, vor allem mit der als Solveigh in jeder Nuance der anspruchsvollen Choreografie brillierenden Gisele Santoro, und einer ballettpantomimischen Ausdeutung der Rolle, die phänomenal ist. Nicht nur bei ihm, auch und vor allem bei Natalia Krylova als Braut Ingrid, die ihren Bräutigam (der sprungtechnisch hervorragende Paul Zeplichal) wegen Peer verläßt sowie Valeria Tsoi in der Rolle der "Grünen" und als verführerische Anitra spürt man, daß die Ballettdirektorin ganz nah am Text choreografiert hat. Gesten, Bewegungen, die Mimik des Ausdrucks "übersetzen" den Ibsen-Text kongenial in die Sprache des Tanzes, quasi als einen Text ohne Worte, nur durch Bewegung vermittelt.

Klassik und Moderne

Wiederum fasziniert in der Choreografie die bruchlose Synthese zwischen Elementen des klassischen Tanzes und der Moderne, hinreißend interpretiert in der Schlußapotheose durch Santoro/Sementshukov und besonders ausdrucksvoll gelungen im Pas de Deux des Peer mit dem "Krummen" (Jens Lüdecke), einer spiegelbildlich getanzten Traumvision zweier in sich verwobener, nackt-simulierter, kraftstrotzender Körper. Die Bühnenästhetik der von Eberhard Matthies für ein Ballett selten genutzten Raumbühne (ohne Gassen) mit riesigen Segelwänden, die in ihrer flirrenden Farblichkeit wie von Geisterhand bewegt, traumhafte Schauplätze entstehen und vergehen lassen, rundete den glanzvollen Uraufführungsabend ab.

Letzte Änderung: 10.11.1998 - Ansprechpartner: Webmaster