Bewegung lernen

10.11.1998 -  

Die Bedeutung des Lernbegriffs für die Sportpädagogik

Organisator und Ausrichter der Sektionstagung Sportpädagogik der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) war in diesem Jahr das Institut für Sportwissenschaft. Etwa 100 Teilnehmer diskutierten das disziplinenübergreifende Thema Bewegungslernen unter verschiedenen Perspektiven und problematisierten die Bedeutung des Lernbegriffs für die Sportpädagogik. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der subjektiven Bedeutung unterschiedlicher Bewegungsqualitäten für das Individuum im Prozeß des Lehrens und Lernens sowie die Aufklärung darüber, ob die Sportpädagogik überhaupt einen eigenen Begriff des Bewegungslernens verwendet oder gegebenenfalls ein solcher entwickelt werden sollte.

Prof. Dr. Winfried Marotzki (Magdeburg) sprach in einem der Eröffnungsvorträge aus der Sicht der allgemeinen Pädagogik über das Lernen in der umstrittenen Moderne. Anhand ausgewählter Befunde der Forschung verdeutlichte er, daß Sozialität und Leiblichkeit beim Lernen unter Zuhilfenahme des Mediums Internet einen anderen Stellenwert zu erhalten scheinen. Die besondere, Leiblichkeit weitgehend ausschließende, Art der Kommunikation und die damit verbundenen Möglichkeiten des Rollenspielverhaltens können zur Steigerung der Reflexionsfähigkeiten der Nutzer beitragen. Die Krisensymptome der Moderne werden nicht unbedingt durch die neuen Informationsmedien verstärkt.

Priv.-Doz. Hans-Georg Scherer (Marburg) referierte über Lernen und Lehren von Bewegung. Dabei machte er deutlich, daß das Bewegungslernen das Fundament jeglichen Sich-Bewegens in bewegungskulturellen Kontexten bildet und daß es im besonderen die basale Einheit fast jeden Sportunterrichts ist. Über bewegungsanalytische, phänomenologische und anthropologische Zugänge entwickelte er neue Modellansätze für das pädagogische Lernen und Lehren.

In den Hauptvorträgen und Arbeitskreisdiskussionen wurden anthropologisch-philosophische, soziologische, psychologische und pädagogische Grundlagen des Bewegungslernens sowohl insgesamt diskutiert als auch im besonderen Kontext der Schule und des Sportunterrichts problematisiert. Prof. Dr. Jürgen Funke-Wieneke (Hamburg) sprach über das Bewegungslernen im schulischen Kontext. Vor allem rekonstruierte er dabei die gängigen sportdidaktischen Konzepte, um am Schluß unter Berücksichtigung gegenwärtig gesetzter gesellschaftlicher und institutioneller Bedingungen für ein vermittelndes Konzept zwischen dem konservativem und dem schulkritischem Modell zu optieren.

Außerhalb der Schule

Weiterhin standen Themen des Bewegungslernens außerhalb der Institution Schule im Mittelpunkt der Gespräche. Prof. Dr. Christian Wopp (Osnabrück) sprach über die Vielfalt und die möglichen pädagogischen Potenzen der heutigen Bewegungskulturen der Kinder und Jugendlichen. Sie sind Ausdruck selbstinszenierter Lebensstile, die ihrerseits bestimmte Lernstrategien favorisieren. Die damit verbundenen Methoden des Bewegungslernens werden in Form eines Methodenmixes (Sampeln) pragmatisch angewendet. Der Redner zeigte am Beispiel des Kick-Boxens und des Skateboardfahrens, daß in der außerschulischen Lebenswelt vor allem zwei Hauptlinien des Lernens zu beobachten sind, zum einen ist dies das Initationslernen und zum anderen das Lernen nach Versuch und Irrtum.

Zum Abschluß der dvs-Tagung resümierte Prof. Dr. Werner Schmidt (Jena) die Ergebnisse. Er machte deutlich, daß die Tagung nur ein erster Versuch disziplininterner sowie -übergreifender Verständigung war. Logischerweise konnte noch kein akzeptabler sportpädagogischer Begriff vom Bewegungslernen ausgemacht werden. Folgende offene Problemkreise bedürfen seiner Meinung nach besondere Beachtung und einer weiteren Diskussion:

  • die historische Dimension des Bewegungslernens,
  • Bewegung verstärkt als Sonderform des sozialen Handelns zu rekonstruieren und zu reflektieren,
  • das Verhältnis von Bewegung und Sprache weiter zu erforschen und
  • die unterbelichtete Beachtung anthropologischer Invarianten in Zukunft abzustellen.

Die überdurchschnittlich hohe Teilnehmerzahl sowie die überaus rege Diskussion waren Zeichen dafür, daß die Jahrestagung der deutschen Sportpädagogen einen erfolgreichen und angenehm positiven Verlauf nahm und sich das Sportinstitut, die Fakultät und die Universität damit als Konferenzstandort empfohlen haben.

Letzte Änderung: 10.11.1998 - Ansprechpartner: Webmaster