Blaue Trichterwinde
Ein Lesebuch von Elisabeth Graul
Graul, Elisabeth: Blaue Trichterwinde 184 Seiten, 18,00 DM dr. ziehthen-verlag Oschersleben 1998 ISBN 3-932090-39X
Man liest ein Buch. Prosa oder Lyrik, und man kann davon nicht lassen. Sehr oft passiert das nicht, daß Themen und Sprache des Autors eine kaum erklärbare, aber doch existierende Faszination ausüben. Man liest und taucht ein ins Nachdenken, auch Überdenken eigener Lebensmaxime. Und plötzlich bekommt Literatur eine besondere Bedeutung, einen besonderen Stellenwert in den "Kämpfen unserer Zeit". So beschrieben erging und ergeht es mir beim Lesen von Elisabeth Grauls Lesebuch Blaue Trichterwinde, das aus Anlaß des 70. Geburtstages der in Barleben lebenden Schriftstellerin und Publizistin, im dr. ziehthen-verlag Oschersleben in einer hervorragend editierten Ausgabe erschienen ist.
Viel Lob
Vieles ist seit dem Erscheinen dieses schmalen Lesebuches an Lobendem, Zustimmendem, die Autorin auch Ermunterndem geschrieben worden. Denn dieses Lesebuch, eine Zusammenstellung von Gedichten, pittoresken Geschichtchen, feuilletonistischen Beiträgen für Zeitungen, Reisebeschreibungen, Auszügen aus ihrer Autobiographie Die Farce und Leseproben ihres noch unveröffentlichten Romans Shalom für Magdalena sind viel, viel mehr als eine literarische Zeitreise durch ein halbes Jahrhundert.
Dieses Lesebuch mit eindrucksvollen persönlichen Bildern von der Autorin aus verschiedenen Zeitabschnitten ist ein Zeitzeugnis. Es ist die außergewöhnliche literarische Bestandsaufnahme eines ungewöhnlichen Lebens. Es wurde geprägt durch zehn Jahre Zuchthaus in der damaligen DDR, verurteilt 1951 wegen Mitgliedschaft in einer Widerstandsbewegung (eindrucksvoll und erschütternd beschrieben in dem Buch Die Farce), durch ihre 13jährige Arbeit am Magdeburger Puppentheater und nicht zuletzt durch ihre Arbeit an der Magdeburger Telemann-Musikschule.
Sich einmischen
Dieses sich kompromißlose, ständige, couragierte Einmischen in politische und gesellschaftliche Vorgänge hat das Leben und die Literatur dieser Frau geprägt. Von ihren zarten Liebesgedichten, die sie kaum 20jährig geschrieben hat, bis hin zu ihrem als Entwicklungsroman breit angelegtem Epos Shalom für Magdalena spannt sich ein literarischer Bogen, der immer wieder für Überraschungen sorgt.
Kuscheltierportraits
Da sind die mit hintergründigem Witz geschriebenen Anekdötchen über ihre Arbeit im Puppentheater, ihre kurzen Prosaarbeiten (Die Spinne, Nach dieser Nacht) und die wunderschönen Kuscheltierportraits, die soviel menschliche Wärme ausstrahlen. Köstlich sind ihre an Krylov und Lafontaine erinnernden Fabeln Tierisches zu lesen, in denen Tiere in ihrem Verhalten soviel Menschliches offenbaren. Wunderschön poetisch und sprachlich einfühlsam ihre Kindergeschichten (Von der Geschichte, die seßhaft wurde ). Und da sind auch ihre parteilichen, publizistischen Einmischungen, etwa als Wolf Biermann 1996 in Magdeburg ein Konzert gab oder das berührende und ergreifende Einkehr in Bautzen. Von ihren Reisebeschreibungen faszinierten mich besonders Dresden - altes, neues Wunder und Karibik á la carte.
Aber ihre 36 in diesem Band zusammengestellten Gedichte sind von allem das Besondere für mich. Elisabeth Graul gelingen mit wenigen, wohl geformten Sätzen, kleine, wundervolle Alltagsbeschreibungen, gefühlvolle Liebeserklärungen und bizarre Beschreibungen von Gefühlen, wie Liebe, Sehnsucht, Trauer, Bitterkeit, Lebensangst und Lebensmut. Und immer spürt man diese unbändige Kraft, diese trotz bitterer Lebenserfahrungen latent vorhandene Lebensbejahung, diesen Optimismus. Und so ist das Lesebuch Blaue Trichterwinde ein Stück (literarisches) Leben, das Elisabeth Graul öffentlich macht und damit auch vielen Menschen ungeheuer Mut zusprechen kann.
Das Lesen in diesem Buch wird zu einem produktiven Denkvergnügen. Und das allein sollte reichen, dies Büchlein unter den Weihnachtsbaum zu legen.