Europa stellte sich vor
Musik am Rande des Kontinents
Das Institut für Musik unserer Universität veranstaltete im November/Dezember 1998 eine Reihe von Konzerten, Workshops, Vorträgen und Symposien zum Thema "Nationalismus und Provinzialismus im musikalischen Kontext; Musik als Instrument nationaler Sozialisation". Die Veranstaltungsreihe (Konzeption und Koordination: Prof. Dr. Tomi Mäkelä) stand unter dem Motto "Europa stellt sich vor" und bot Lehrenden und Studierenden, aber auch der musikinteressierten Öffentlichkeit Gelegenheit zur Diskussion und Begegnung mit Komponisten, Interpreten und Musikwissenschaftlern aus sieben europäischen Ländern.
Das Motto der Reihe hätte auch "Europa lernt sich kennen" lauten können. Ein Blick auf Themen und Referenten zeigt, daß es dem Veranstalter (neben anderem) darauf ankam, die Aufmerksamkeit auf Gegenstände und Gebiete zu lenken, die auf der "Musiklandschaftskarte" Europas am Rande des Kontinents oder am Rande traditioneller Betrachtung liegen – selbstredend mit dem Ziel, gängige Wertungen zu problematisieren, verkrustete Wahrnehmungsschemata aufzubrechen: So sprach Helena Tyrväinen (Helsinki) über den "französischen Einfluß im europäischen Norden", zeichnete Mikko Heiniö (Turku) am eigenen Werk das "Portrait eines multikulturellen Komponisten", sprach Raymond Monelle (Edinburgh) über den "schottischen Ton und die europäische Moderne" und Lubomir Spurny (Olomouc) über "tschechische und böhmische Nationalstile im 20. Jahrhundert".
Feldforschungsbeispiele
Bozena Muszkalska (Poznan) referierte über "Stereotypen des Polnischen" und die "Stilbildung in der europäischen Volksmusik". An durch Feldforschung aufbereiteten Beispielen (Polen/mediteraner Raum) demonstrierte sie die Lebendigkeit, Originalität und Authentizität von Volksmusik, aber auch deren Gefährdung durch kommerzbedingte "Folklorisierung". Auf die Überfremdung nationaler und regionaler Musikkultur im Zeichen von Globalisierung und falsch verstandener "Verkunstung" wies auch Jens Eckert (Hildesheim) in seinem Beitrag über "Musikerziehung in Indien" hin.
Provinzialität
Historischen Leistungen auf dem Gebiet der Musikerziehung im mitteldeutschen Raum galten Vorträge von Ronald Dürre und Lutz Buchmann (Magdeburg). Einem in der Landeshauptstadt Diskussion unvermeidlich machenden Thema widmeten sich Brit Reipsch und Wolf Hobohm (Magdeburg). Ihr Beitrag über Magdeburger Komponisten der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts unter der fragenden Überschrift "Provinzielles Wirken in regionalen Grenzen?" warf musikästhetische Fragen auf, die für alle behandelten Themen relevant waren: Woran bemißt sich "Provinzialität" in der Musik? Welches sind Indikatoren des "Nationalen", signifikante Merkmale "nur" regionaler Bedeutung? Bei der Suche nach prinzipiellen Antworten stimmten die Referenten auffallend überein: die innermusikalische Analyse helfe hier nur bedingt, man müsse sich bei der Beurteilung auf den schwankenden Boden von "Erlebnisgehalten" begeben, auf eine Ebene, die Musik, Komponisten, Publikum, kulturelles Umfeld, den gesamten (wie der Veranstalter vorausschauend formulierte) "musikalischen Kontext" einschließe. Die Veranstaltungsreihe wurde genutzt, um Kontakte für eine weitergehende Zusammenarbeit zu knüpfen.