Eine Frau mit zwei Gesichtern
Die etwas andere Sicht auf Katharina die Große
Selbst heute erregt die Debatte um die historische Leistung der russischen Zarin Katharina II. die Gemüter. Stellt sie für die einen den aufgeklärten Geist dar, der dem Rußland des 18. Jahrhunderts zu neuem Einfluß verhalf, so berufen sich andere auf den despotischen, rücksichtslosen Charakter ihrer Herrschaft.
Eine vom Institut für fremdsprachliche Philologien, Fachbereich Slavistische Literaturwissenschaft, und der Fakultätsbibliothek initiierte Ausstellung stellte sich der Aufgabe, einen weiteren Aspekt in die Auseinandersetzung um die einzige Frau, die sich den Beinamen "die Große" erwarb, einzufügen. Unter dem Titel Zerbst Prinzessin Katharina die Große wurde von Mitte April bis Mitte Mai 1999 in der Bibliothek der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften eine Ausstellung, unterstützt durch die Bilder-Leihgaben vom Internationalen Förderverein Katharina II. e. V., verwirklicht.
Während die Mitglieder dieses Vereins die Herkunft der Zarin bei der Darstellung ihres Lebens in den Vordergrund rücken, bemühte sich der Fachbereich für Slavistik, den Akzent zu verschieben. Wie sah sich eine derart umstrittene Persönlichkeit selbst und wie wünschte sie von anderen wahrgenommen zu werden? Die Ausstellung zeigte Selbstentwürfe der Kaiserin.
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Ein Vergleich der Gemälde, die sie in voller Schönheit und im prunkvollen Ornat zeigen, mit ihrem intellektuellen Nachlaß lohnt sich. Ihre schriftstellerische Hinterlassenschaft umfaßt in erster Linie politische Traktate und Manifeste, mit deren Hilfe sie die eigene Herrschaftspraxis zu legitimieren suchte, darüberhinaus eine Fülle an Privatkorrespondenz mit der damaligen geistigen Elite Europas (z.B. mit Voltaire), jedoch auch belletristische Texte.
Als Autorin historischer Dramen, Komödien, Libretti und Kindermärchen erregt Katharina II. in der letzten Zeit größeres Forschungsinteresse. Allen, die besonders daran interessiert sind, wie Katharina selbst ihr Leben bewertete, sei die Lektüre ihrer Memoiren sowie der Briefe an die engsten Vertrauten empfohlen. Hier blickt uns die inoffizielle Katharina entgegen, klagend über ihre Schwäche und Krankheit, die Kritikerin ihrer eigenen Bilder. Widersprüchlich steht sie der mächtigen Zarin gegenüber, die ihren Machtantritt in prunkvollen Darstellungen nachträglich selbst inszenierte und sich als Heldin feiern ließ.
Eine sozialhistorische Beschreibung der Epoche Katharinas sollte und konnte in dieser Ausstellung nicht erfolgen. Über die Eröffnungsveranstaltung hinausgehend, gelang es leider noch unzureichend, das hier dargestellte Konzept dem Besucher transparent zu machen, da jener die Unterstützung mittels weiterer Informationsmaterialien vermißte.
Die Auswahl des Ausstellungsortes diente hingegen als Orientierungshilfe - die Exponate befanden sich in der Ausleihe parterre an der hinteren Wand anstelle in einem separaten Raum -, Katharina II. in ihrer Rolle als Schriftstellerin bewußter wahrzunehmen. Umgeben von Büchern, relativierte sich der Eindruck, der von den pompösen Gemälden ausging ...