Umfassende Konfliktlösung im Mittelpunkt

31.03.2000 -  

Entrepreneurship &endash nach Magdeburger Konzept mehr als nur Unternehmertum

Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg verfolgt das Ziel, einen Lehr- und Forschungsschwerpunkt Entrepreneurship einzurichten. Sie geht damit auf Anregungen aus der Wirtschaft und Politik und insbesondere auf die Gründungsinitiative der Bundesregierung ein. Die geringe Zahl von Unternehmensneugründungen und noch mehr deren geringe Überlebensfähigkeit und wenig innovatives Potential deuten darauf hin, dass es unserer Gesellschaft an innovativem Unternehmertum mangelt.

Welche Ursachen gibt es für mangelndes Unternehmertum?

Der Mangel scheint weniger in einem Defizit an Kreativität von Ingenieuren und Designern oder neuen Produkt- und Systemideen zu bestehen, als vielmehr darin, dass die Organisation unserer Gesellschaft durch Komplexität und Regulierung erstarrt ist. Es geht also darum, Institutionen zu schaffen und Qualifikationen auszubilden, die im konkreten Einzelfall gesellschaftliche Widerstände gegen ein Innovationsprojekt zu überwinden vermögen, ohne die Errungenschaften der demokratischen Entwicklung zu gefährden. Speziell Unternehmensgründungen erfordern an den verschiedensten Stellen die Lösung solcher Interessenkonflikte. Dieser Gesichtspunkt der Konfliktlösung wird aber bis heute in Lehr- und Forschungskonzepten zu Unternehmensgründungsproblemen vernachlässigt. An dieser Stelle setzt das Magdeburger Konzept an.

Worin liegt der Schwerpunkt dieses Konzeptes?

Um gezielt unternehmerische Aktivitäten und Gründungsprojekte unterstützen zu können, soll unter der Leitung einer Stiftungsprofessur ein Interaktionszentrum Entrepreneurship eingerichtet werden. Die Zielsetzung dieses Zentrums ist eine doppelte: zum einen die Anregung, Betreuung und Durchführung praktischer Innovationsprojekte und zum anderen die Vermittlung von Handlungskompetenz an die Studierenden aller beteiligten Fachrichtungen.

Worauf soll sich die Arbeit des Zentrums konzentrieren?

Das Interaktionszentrum könnte die Aufgabe übernehmen, marktinduzierte Innovationsideen einer technischen Realisierung zuzuführen. Das Potential der technischen Fakultäten unserer Universität bietet dazu die geeignete Grundlage. Besonders wichtig erscheint die Problemebene der Start- und Gründungsfinanzierung. Im Zentrum sollen für dieses Problem spezielle interaktive Analysemethoden entwickelt und angewendet werden, um die Risiken transparent zu machen. Eine enge Zusammenarbeit mit Institutionen der Gründungsfinanzierung ist angestrebt.

Neben Gründungen erfordern auch die Aufgaben der Insolvenzabwendung oder Sanierung innovative Kompetenz und damit Entrepreneurship. Sehr häufig sind derartige Problemfälle auf das Fehlen des Entrepreneurs und dessen Fähigkeit zurückzuführen.

So weit es die Vertraulichkeit der Projekte zulässt, sollen Studierende auf allen Ebenen durch ihre aktive Mitwirkung integriert werden. Dadurch können sie ihre Handlungskompetenz erproben und Berührungsängste abbauen.

Auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen wird gearbeitet?

Da es um Handlungskompetenz geht, kommt als wissenschaftliche Basis eine allgemeine Theorie des Problemlösens in Frage. Zweifellos kann dies nur eine interdisziplinäre Herangehensweise in vollem Umfang leisten. Relevant sind Ergebnisse und Methoden der Argumentationslehre aus der wissenschaftlichen Rhetorik ebenso wie die Forschungen der kognitiven Psychologie über Problemlöseprozesse.

Eine geeignete wissenschaftliche Grundlage, die den Problembereich Entrepreneurship gut abdeckt, sieht die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft in dem neueren interdisziplinären Forschungsgebiet, das sich in den USA unter der Bezeichnung "negotiation analysis", zu deutsch Verhandlungsanalyse, etabliert hat. Die Verhandlungsanalyse hat sich aus der Entscheidungsanalyse entwickelt und sucht darüber hinaus auch wichtige Aspekte der Psychologie und Soziologie zu berücksichtigen. Sie möchte herausfinden, welche Konzepte der formalen Theorie sich zur Problembewältigung in der Praxis eignen und von der Praxis angenommen und übernommen werden. Die verhandlungsanalytische Betrachtung erlaubt, die verschiedenen Interessen aller beteiligten Parteien zu berücksichtigen und zeigt Lösungswege auf, wie Konflikte zwischen den Parteien konstruktiv behandelt werden können.

Indem man z.B. Verhandlungsprobleme in ,spielbare' Spiele umwandelt, lassen sich alle relevanten Aspekte einer gegebenen Konfliktsituation formal erfassen. Das Spiel lässt sich damit nicht nur analysieren, sondern auch in verschiedenen Varianten und mit unterschiedlichen Spielern durchführen. Diese Form der Realsimulation eignet sich besonders als Strategie- und Beratungsinstrument, weil potentielle Lösungen tatsächlich durchgespielt werden können.

Welches Lehrkonzept liegt zugrunde?

Das Lehrkonzept soll zunächst eine breit angelegte Ausbildung in den Methoden der Verhandlungsanalyse bieten. Theorien und Techniken werden dabei anhand praktischer Anwendungen erarbeitet. Dies könnte je nach Zielsetzung und Adressaten in Vorlesungen, Seminaren oder Praktika erfolgen. Wichtig ist dabei, dass alle Methoden aktiv erprobt werden. Dadurch wird nicht nur das Verständnis gefördert, sondern auch die Akzeptanz bei den Studierenden.

Die erlernte Fähigkeit zu unternehmerischem Handeln muss realitätsnah erprobt werden, um Absolventen die Kompetenz zu verleihen, später selbstständig im Markt zu agieren. Ausgewählte Ausbildungseinheiten sollen daher insbesondere mit Praktikern durchgeführt werden. Reale Fälle werden bearbeitet, um daraus eigene Fallstudien und Verhandlungsspiele zu konzipieren. Für Studenten bieten sich hierbei zahlreiche Praktikumsmöglichkeiten, die eng mit ihrem theoretischen Studium verbunden sind. Und für Praktiker eignet sich diese Zusammenarbeit wegen des damit verbundenen Wissentransfers, der um so besser funktioniert, je mehr Experten aus Theorie, Politik und Praxis involviert sind.

Letzte Änderung: 31.03.2000 - Ansprechpartner: Webmaster