Menschenschicksale
Rezension
Graul, Elisabeth
Shalom für Magdalena
Langen Müller, F. A. Herbig
Verlagsbuchhandlung,
München 2000
ISBN 3-7844-2762-6
Die Schriftstellerin Magdalena Berger ist unterwegs nach Israel. Dort wird sie nach vielen Jahren der Trennung David und Vera, Freunde aus gemeinsamen Kinder- und Jugendjahren in Deutschland, wiedertreffen. Damals waren wir jung, als wir uns trennten; ihr habt überlebt, ich habe überlebt, und nun fliege ich auf euch zu. Wie weit werden eure Arme ausgebreitet sein und wie offen eure Herzen? Mit dieser Frage, diesen Gedanken beginnt der packende Roman Shalom für Magdalena der Barleber Schriftstellerin Elisabeth Graul, der Anfang dieses Jahres erschienen ist. Elisabeth Graul, die 1991 durch ihren autobiografischen Roman Die Farce und zahlreiche Lyrikbände bekannt wurde, schildert auf knapp 340 Seiten die schicksalhaft miteinander verwobenen Lebenslinien dreier Menschen über einen Zeitraum von fast 50 Jahren.
Verschachtelte Erinnerungen
Sie zeichnet die Lebenswege von Magdalena, David und Vera nach und versucht zu ergründen, wie Menschen trotz vieler Gemeinsamkeiten unter dem Einfluss gesellschaftlicher Zwänge, Bedrohungen und Repressalien sich ganz unterschiedlich entwickeln. Dabei gelingt ihr ein packendes zeitgeschichtliches Dokument, das 50 Jahre deutsche Geschichte reflektiert. Die Israelreise Magdalenas, das Wiedersehen mit David, ihrer ersten großen Liebe aus der Zeit finsterer Bedrohung durch den Faschismus, und mit Vera, der begnadeten Pianistin, die durch ein Attentat palästinensischer Freischärler erblindete, ist die literarische Klammer für die vielfach ineinander verschachtelten Erinnerungen, die aus der Sicht von Magdalena, David und Vera beschrieben werden. Diese Erinnerungen sind aus der Perspektive eines "Erzählers" aufgeschrieben und werden durch die dokumentarische Beschreibung politischer Ereignisse als zeitgeschichtlicher Hintergrund, als durchgehendes, strukturierendes Element kursiv in den Romantext eingefügt, objektiviert. Dabei ist die Sprache Elisabeth Grauls sehr prägnant, schnörkellos, detailgenau und von einer Bildhaftigkeit, die aus einer sehr genauen Beobachtung der Wirklichkeit resultiert.
Besonders eindrucksvoll und literarisch-sensibel beschreibt die Autorin im ersten Teil des Buches die aufkeimende Liebe zwischen Magdalena und dem jüdischen Jungen David, der von Magdalenas Familie während des Krieges versteckt wird. Sie schildert die Kraft und Fürsorge von Vera, die von Davids Eltern an Kindes statt aufgenommen wurde und die für David wie eine Schwester ist. Emotional berührend sind die Schilderungen der Repressalien gegen Vera nach ihrer Verhaftung wegen "Republikflucht", die Beschreibung der quälenden Verhöre und der harten Zeit im Gefängnis. Hier, wie auch später, als Magdalena, die als Schriftstellerin immer mehr in Widerspruch zur DDR-Wirklichkeit der 60er und 70er Jahre gerät, selbst wegen eines Ausreiseantrages gemeinsam mit ihrem Mann Bernhard und einem ihrer Söhne verurteilt wird, trägt der Roman auch autobiografische Züge. Es wird das von Elisabeth Graul während ihrer 10-jährigen Haftzeit im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck Erlebte auf bestürzende Weise reflektiert.
Die Reise Magdalenas nach Israel wird für sie, David und für Vera auch zu einem Neuanfang. Magdalena bekennt sich zu ihrer Mitschuld am Verrat der Fluchtabsichten Veras und zwischen Magdalena und David keimt die nie wirklich vergessene Jugendliebe zu einem großen, starken Gefühl füreinander wieder auf. Magdalena, die in ihrem Leben in der DDR erkennen musste, dass der Sozialismus eine "Utopie" bleiben muss, weil die Menschen, die ihn predigten, nie die Menschen in Freiheit und Gleichheit leben lassen wollten, findet in Israel zu sich selbst und für ihr Leben einen neuen Anfang. Das "Shalom" ihrer Freunde Vera und David ist für sie mehr als nur ein "Willkommen"!