Der Abbau von Studienplätzen ist das falsche Signal

31.05.2000 -  

Uni-Forum der Volksstimme über die Zukunft der Universitäten im Hörsaal III

Einig waren sich eigentlich alle auf dem Uni-Forum der Magdeburger Volksstimme über das Ziel: Die Entwicklung einer leistungsstarken Wissenschafts- und Forschungslandschaft in Sachsen-Anhalt. Uneinig hingegen waren die Diskussionsteilnehmer über den Weg zu diesem Ziel. Sollen die Universitäten mehr Autonomie erhalten? Muss der Staat stärker regulierend eingreifen? Wie sind Sachsen-Anhalts Hochschulen künftig zu finanzieren? Dies waren nur einige der Fragen auf dem Uni-Forum, zu dessen Anliegen Volksstimme-Chefredakteur Paul-Josef Raue formulierte: "Als Regionalzeitung muss sich die Volksstimme verstärkt den Belangen der Hochschulen vor Ort widmen." Deshalb hätte er in den Hörsaal III unserer Universität zu diesem Forum über die Zukunft der Universitäten eingeladen. Immer zu Beginn eines Semesters soll das Forum fortgesetzt werden.

Bedarf steigt

Kultusminister Dr. Gerd Harms bedauerte, dass sich die öffentliche Wahrnehmung der gegenwärtigen Diskussion um die Weiterentwicklung der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt lediglich auf den Abbau von 11 000 Studienplätzen reduziere. Es gehe vielmehr um die Überprüfung und Korrektur der Zielzahlen von 1992, nicht nur um die Angleichung an die demographische Entwicklung. Dann würde die Reduzierung viel drastischer ausfallen müssen und sich in einer Größenordnung von etwa 18 000 im Land verbleibenden Studienplätzen bewegen.

Rektor Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann machte darauf aufmerksam, dass der Bedarf an hochqualifiziertem Nachwuchs nicht nur in Wissenschaft und Forschung höher sei als zu Beginn der 90er Jahre angenommen. Wissensbasierte Arbeitsplätze, die durch gut ausgebildete Akademiker besetzt werden, spielten in der Arbeitswelt von Morgen eine zentrale Rolle. Der momentan propagierte Studienplatzabbau sei das falsche Signal, um beispielsweise die Studierquote der Abiturienten in Sachsen-Anhalt zu erhöhen. Die Politik müsse in die Offensive gehen und Prioritäten zugunsten von Wissenschaft und Forschung setzen.

Vorrangiges Ziel der Zukunft sei die Schaffung von Arbeitsplätzen, unterstrich Prof. Dr. Reinhardt Jünnemann. Dafür müsse Humankapital, das aus den Hochschulen komme, eingesetzt werden. Deshalb seien Investitionen in die Hochschulen auch Investitionen in die Zukunft. Professor Jünnemann leitet in Nord-Rhein-Westfalen ein Projekt zur Entwicklung der Hochschullandschaft im Ruhrgebiet und hat in Magdeburg ein "Kompetenzzentrum Materialfluss und Logistik" aufgebaut. Einerseits sprach sich Reinhardt Jünnemann dafür aus, den Hochschulen mehr Selbstständigkeit zu lassen. Dazu jedoch müssten diese Konzepte, Pläne oder eben Zielvereinbarungen vorlegen, wie sie das ihnen zur Verfügung gestellte Geld effizient einsetzen. Andererseits sprach er auch von einer gewissen Fürsorgepflicht des Landes, steuernd einzugreifen, um beispielsweise lange Studienzeiten zu verkürzen oder die Hochschulen zu befähigen, schneller auf Anforderungen aus Wirtschaft und Industrie zu reagieren.

Wie das Geld innerhalb der Universitäten zu verteilen sei, solle ihnen selbst überlassen werden, meinte Prof. Dr. Dominique Demougin von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft. Er plädierte für ein Finanzierungsmodell der Hochschulen auf der Basis der immatrikulierten Studierenden. Der Staat solle sich gänzlich aus der Organisation der Hochschulen zurückziehen. In Deutschland seien die Universitäten zudem äußerst schlecht organisiert, worin er u.a. eine Ursache für die langen Studienzeiten sah. Professor Demougin setzte ganz auf den Wettbewerb. Dieser würde viele Probleme der Hochschulen lösen und Planungssicherheit geben.

Nicht für Wettbewerb, sondern für mehr Demokratisierung sprach sich Studentenvertreter Pascal Begrich aus. Dabei sollte die Diskussion nicht an den Betroffenen vorbei gehen. Wissenschaft und Forschung seien ein wichtiges Gut für Sachsen-Anhalt und müssten gefördert werden. Nur so könne die Attraktivität der Universitäten im Land gesteigert werden. Er forderte ein ausdifferenziertes Lehr- und Forschungsangebot, gekennzeichnet durch Interdisziplinarität und zahlreiche Serviceangebote sowie durch Kooperationen mit Unternehmen, wissenschaftlichen und soziokulturellen Einrichtungen der Region, das auch für ausländische Studieninteressierte attraktiv ist. Dies erfordere eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Hochschulen.

Zweifel nicht ausgeräumt

Kultusminister Harms unterstützte die Meinung Professor Demougins, sich vom Dirigismus und der kameralistischen Feinplanung für Großunternehmen, wie die Universitäten es sind, zu lösen. Die Instrumente dafür liefere der Entwurf für das neue Landeshochschulgesetz in Form der Zielvereinbarungen, die zwischen Universitäten und Kultusministerium abgeschlossen werden sollen, sowie durch die Stärkung der inneruniversitären Entscheidungsgremien und der Leitungen der Hochschulen. Nicht ausräumen konnte der Minister mit seinen Argumenten die Skepsis vieler Anwesender gegenüber dem Paragraphen 66/4 der Novelle.

Dieser müsse ja nicht einmal direkt zum Einsatz kommen, befürchtete Rektor Pollmann, allein die Androhung, ihn zu nutzen, könne den Abschluss von Zielvereinbarungen lange hinauszögern und die Universitäten mürbe machen. Werden sich Kultusministerium und Hochschule nicht über eine Zielvereinbarung einig, so räumt besagter 66/4 dem Ministerium, "wenn dies zur Wahrnehmung staatlicher Belange aus Gründen der Zweckmäßigkeit erforderlich ist" ein Eingriffsrecht beispielsweise bei der Festlegung des fachlichen Porfils oder der Einrichtung und Schließung von Studiengängen ein.

Was verbirgt sich wirklich hinter diesem gefürchteten Paragraphen? Wie sind Zweckmäßigkeit und staatliche Belange zu definieren? Was beinhalten die Zielvereinbarungen konkret? Wie können die Universitäten von der Verläßlichkeit der politischen Partner überzeugt werden? Zur Klärung dieser und weiterer Fragen bot der Minister Gespräche an.

Im Vorfeld des Uni-Forums gab es einige Unstimmigkeiten über die Besetzung des Podiums. Der Rektor der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Prof. Dr. Reinhard Kreckel, war nicht eingeladen, fühlte sich übergangen, bot aber dennoch seine Teilnahme an der Diskussion an. Chefredakteur Raue lehnte ab. In einem Brief an die Magdeburger Volksstimme machte Rektor Kreckel seinem Unmut Luft: "Ich habe Herrn Chefredakteur Raue deutlich gemacht, dass ich es in dieser Situation schon als eine deutliche Brüskierung der halleschen Universität betrachte, wenn er das Angebot ihres Rektors nicht akzeptiert, an der ins Gerede gekommenen Podiumsdiskussion teilzunehmen und falsche Töne vermeiden zu helfen." Paul-Josef Raue rechtfertigte die Absage an Professor Kreckel damit, dass es fast nie möglich sei, ein vollständiges Podium zu schaffen, das zudem noch in der Lage sein würde, auch wirklich zu diskutieren.

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