Im Moloch Berlin
Großes Schauspiel am Theater der Landeshauptstadt
Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" ist viel mehr als die Geschichte des Franz Biberkopf. Das Buch ist eine Collage, die Zeitungsberichte, Werbeslogans, Bibeltexte und Zeitzeugnisse montiert und das rasante Tempo der Großstadt Berlin des Jahres 1929 nachempfinden läßt. Seit jeher übt dieser Roman seinen Reiz auf Theater, Film und Fernsehen aus. Unvergessen Heinrich George als Franz Biberkopf und Günter Lamprecht in der elfteiligen Fernsehfassung von Rainer Werner Faßbinder.
Am Theater der Landeshauptstadt spielt man nun eine Fassung, die Eike Gramss erarbeitet hat und die, den Roman stark komprimierend, die tragische Figur des ehemaligen Transportarbeiters und Zuchthäuslers Franz Biberkopf, seinen vergeblichen Versuch als Straßenhändler und Zeitungsverkäufer am Berliner Alexanderplatz anständig zu bleiben, sein Umherirren in Bierschwemmen, Tanzlokalen und Hurenhäusern, in den Mittelpunkt stellt. Aber dieser Franz mit seiner berserkerhaften Kraft und dem fast kindlichen Gemüt ist ein "loser", dessen Lebensuntüchtigkeit symptomatisch für die Zeit der "goldenen" zwanziger Jahre ist.
Revue-Tingel-Tangel
Eike Gramss und vor allem der Regie Max K. Hoffmanns gelingt es, für die formale Raffinesse des Buches eine ungemein wirkungsvolle theatralische Entsprechung zu finden. Die Lebensversuche des Franz Biberkopf werden mit grellem Revue-Tingel-Tangel im Stil der Zeit kontrapunktiert. Eine Welt des schönen Scheins, in der für Franz Biberkopf kein Platz ist, macht das soziale Elend im Moloch Berlin noch deutlicher. Die Kunstfigur Tod (hervorragend Arnim Winkler) als "Begleiter" des Franz und Kommentator der Handlung ist ein Äquivalent für die raffinierte Montagetechnik des Buches, für das, was Film und Fernsehen möglich machen und Theater nur begrenzt zu leisten vermag.
Franz Biberkopf "verfällt" den Menschen auf eigentümliche Art. Er ist fasziniert von der schlaksigen Lässigkeit des Berufsganoven Reinhold, der seine Frauen "verkauft". Johannes Paul Kindler spielt diesen Ganoven mit virtuosem Stottern und einem räudig-nervösen Großstadtcharme. Ein sprachgehemmtes Großmaul, ein gefährlicher Menschenfänger. Franz wird ihm die abgelegten Frauen abnehmen, er wird mit ihm Schmiere stehen, er wird nicht mehr Nein sagen. Franz ist im Banne dieses Menschen, selbst als er durch dessen Schuld zum Krüppel wird.
Ein Schrei um Hilfe
Christian Kleinert als Franz Biberkopf ist das Ereignis dieser Döblin-Adaption. Ein Kerl, wie ein Baum mit soviel Liebe in sich, mit soviel Anständigekeit als Vorsatz. "Franz ist wieder da!" schreit er heraus. Fast wie ein Schrei um Hilfe, so viel Unglück ist in seinem Leben. Wie Christian Kleinert diese gebrochene Figur in ihrer Hoffnung auf Erlösung durch Liebe spielt, wie er Hilflosigkeit, unbändigen Schmerz und grenzenlose Wut, als er erfährt, dass seine Mieze für ihn auf den Strich geht, ausspielt ist einfach großes, großartiges Schauspielertheater. Dabei trifft Kleinert in der Sprache genau den Ton dieser verzweifelten Kreatur. Welch ein Ensemblespiel, das Max K. Hoffmann hier auf die Bühne gebracht hat! Isolde Kühn ist in blitzschneller Verwandlung wie auch Sabine Svoboda, Nike Fuhrmann und Peter Wittig in mehreren Rollen zu erleben. Jede ihrer oft nur skizzierten Figuren erhalten durch das subtile Spiel der Darsteller filigranes Profil. Wie die Kühn in den von Joachim Kuipers hervorragend einstudierten Revue-Szenen ihre Chansons voller Laszivität singt ist ebenso wirkungsvoll, wie die von Nike Fuhrmann als Mieze mit Johannes Paul Kindler gespielte quälend lange Mordszene. Beide Darsteller lassen Liebesverlangen und Brutalität, Angst und Lust in der Schwebe. Großes Schauspieltheater in Magdeburg, zur Premiere mit Ovationen bedacht.