Prostituierte, Volkstribun, Erben
Ein Sommerseminar zu Bürgerrechten in der Antike
Die Frage nach der Staatsbürgerschaft in unserer Gesellschaft - ein Thema von hoher Brisanz. So ist die deutsche Staatsangehörigkeit mit Privilegien verbunden, die bei Untersuchungen des Grundrechtskataloges festzustellen sind. Doch wie sah die Situation in der Antike aus? Lassen wir uns auf eine Zeitreise ein!
Athen, 343 v. Chr.: Wir befinden uns auf der Agora, dem Ort, wo ständig Waren und Neuigkeiten ausgetauscht werden. Treten wir näher und vernehmen die Neuigkeit des Tages: Neaira, die hübsche Frau des Redners Stephanos, wird angeklagt, sich das Bürgerrecht erschlichen zu haben. Ein Raunen läuft durch die Menge, als Apollodoros, ihr Ankläger erscheint. Er lächelt siegesgewiß, denn ehemalige "Freunde" Neairas werden, so mutmaßt man, ihre Vergangenheit als korinthische Hetäre aufdecken. Plötzlich hält Apollodoros inne und verkündet: "Laßt euch, Bürger, nicht länger von einem Mann wie diesem Stephanos in die Irre führen. Er hat eine Hetäre geehelicht und nun versucht er auch noch, ihre Bastarde in unsere Gesellschaft aufnehmen zu lassen!" Die Massen empören sich: Eine Lebensgemeinschaft mit einer Prostituierten sei zwar - wenn auch - peinliche Privatangelegenheit, aber der Versuch, das Bürgerrecht für die Kinder zu erlangen, sei untragbar. Sollten etwa Bastarde mit über Athens Zukunft abstimmen dürfen und vielleicht noch mit staatlichem Getreide durchgefüttert werden?
Der Eid der Senatoren
Rom, 100 v. Chr.: Die Volksversammlung ist gut besucht. Es ist erstaunlich ruhig, denn alles hört auf einen heiseren und langsam sprechenden - aber wild gestikulierenden Mann. Dies sei, so wird uns mitgeteilt, der Volkstribun Appuleius Saturninus, der für seine Gesetzesvorlagen werbe. Dabei ist er sehr erfolgreich, denn am Ende stimmen die Römer für seinen Antrag. Die Freude darüber, so bemerken wir, ist jedoch nicht ungeteilt, da die Senatoren nach dem neuen Gesetz am nächsten Tag einen Eid leisten sollen. Dieser beinhaltet, daß sie sich verpflichten sollen, jedem Beschluß des Volkes zukünftig zuzustimmen. Sollte Rom eine Demokratie werden? Wir betreten am nächsten Morgen neugierig die Volksversammlung. Auch die Anhänger des Appuleius sind wieder zahlreich erschienen. Entsprechend eingeschüchtert zeigen sich die Senatoren. Einer nach dem anderen leistet seinen Schwur. Doch dann ist Q. Metellus an der Reihe. Er verweigert sich dem Volkswillen. Die Reaktion folgt prompt - das Volk will ihm Feuer, Wasser und Obdach entziehen. Metellus ist jedoch schneller, besteigt ein Schiff und flieht vor dem Mob nach Rhodos.
Historisch vs. juristisch
Mailand, Juni 2000: Wie sind diese Ereignisse zu bewerten. Die Teilnehmer des internationalen Sommerseminars in Mailand konnten sich darüber nicht immer einig werden. Während die Magdeburger Beteiligten unter der Führung von Prof. Dr. Martin Dreher die historischen Sichtweisen vertraten, betrachteten die anderen Seminaristen aus Mailand, Barcelona, Graz, Szeged und München die Fälle aus juristischer bzw. rechtshistorischer Sicht.
Beispielhaft für diese unterschiedlichen Perspektiven ist die Diskussion über das Urteil über - den durch Cicero berühmt gewordenen - Verres. Während dieser aus historischer Sicht nicht als positiv zu bewertende Persönlichkeit angesehen wird, betrachten die Juristen ihn freundlicher.
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten kam jedoch der Konsens zustande, daß der Besitz des Bürgerrechts in der Antike ein großes Privileg und somit ein erstrebenswertes Ziel war. Doch das Bürgerrecht konnte auch entzogen werden. Dementsprechend war es eine bedeutende Größe in politischen Auseinandersetzungen, wie die Fälle der Neaira und des Metellus illustrieren.
Wer sich nun fragt, wo die "Erben" aus der Überschrift bleiben, der sollte sich den Inhalt des erwähnten Verres-Falls zu Gemüte ziehen. Dieser ist bei Cicero nachzulesen. Es lohnt sich.