Handelsboykott ist unmoralisch
Nobelpreisträger Robert Solow hielt Vortrag
Robert Solow, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft des Jahres 1987 und seit einem halben Jahrhundert Professor für Volkswirtschaftslehre am Massachussetts Institute of Technology, war zu Gast an unserer Universität. Er sprach im zurückliegenden Sommersemester während einer Otto-von-Guericke-Vorlesung zum Thema Umweltpolitik und internationaler Handel. Im überfüllten Hörsaal 5 hielt er den Vortrag in deutscher Sprache, der die gut 500 Zuschauer in jeder Hinsicht begeisterte und zu lang anhaltendem Applaus führte. Die anschließende Diskussion, bei der er in Deutsch gestellte Fragen in Englisch beantwortete, rundete das intellektuelle Erlebnis ab.
Umweltpolitik und Handel
Der Kern des Vortrags bestand in einer konsequenten Anwendung allgemeiner Gleichgewichtstheorie zur Analyse des Zusammenhangs zwischen Umweltpolitik und internationalem Handel. Solow argumentierte - stets verbal, aber auf der Grundlage stringenter modellgestützter Logik -, dass umwelt- oder sozialpolitisch motivierte Beschränkungen des internationalen Handels in aller Regel genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie als Ziel vorgeben. Der Grund liegt in dem, was Ökonomen die gesamtwirtschaftliche Re-Allokationswirkung von Handelsbeschränkungen nennen. Wird zum Beispiel der Import von Gütern aus Entwicklungsländern beschränkt, weil in dem betreffenden Exportsektor auch Kinder arbeiten, so führt dies dazu, dass in dem Entwicklungsland unter sonst gleichen Bedingungen der binnenmarktorientierte Sektor der Wirtschaft expandiert - zu Lasten des Exportsektors. Die Gesamtwirkung der Handelsbeschränkung auf das Ausmaß der Kinderarbeit lässt sich deshalb erst ermessen, wenn man prüft, in welchem Sektor mehr oder weniger Kinder zu welchen Arbeitsbedingungen eingesetzt werden. Empirische Studien zeigen, dass in aller Regel die Kinderarbeit in Binnensektoren der Entwicklungsländer üblicher und härter ist als in den Exportsektoren. Analoges gilt für den ökologischen Raubbau. Handelsbeschränkungen führen deshalb im Ergebnis zur Unterstützung inhumaner und ökologisch schädlicher Praktiken. Sie sind zwar gut gemeint, im Ergebnis aber höchst unmoralisch.
Will ernsthaft die Kinderarbeit und der ökologische Raubbau in den armen Ländern der Welt vermindert werden, so sollte dies auf andere Art geschehen. Insbesondere sollte man
- eine gezielte entwicklungspolitische Unterstützung leisten, die das Problem bei der ökonomischen Wurzel packt, z.B. finanzielle Unterstützung für Schulbildung, die sich die Eltern sonst nicht leisten könnten, oder Technologietransfer für ökologisch schonende Produktionsmethoden,
- die Weltmärkte für Produkte aus Entwicklungsländern öffnen, damit dort ein wirtschaftliches Wachstum initiiert wird, das längerfristig die Ursachen der Kinderarbeit und des ökologischen Raubbaus beseitigt.
Solows Vortrag machte klar, dass die stringente ökonomische Analyse sich nicht in Kategorien von Kosten und Nutzen erschöpft. Tatsächlich hat das ökonomische Denken eine tief moralische Dimension: Es gibt ein Instrument an die Hand, das hilft, eine Verantwortungsethik sachgerecht umzusetzen - im krassen Unterschied zu einer Gesinnungsethik, die Ziele postuliert und den Einsatz von Instrumenten fordert, ohne die moralisch verwerflichen Wirkungen dieser Instrumente in den Blick zu nehmen. Nicht nur den Ökonomen unter den Zuhörern leuchtete diese Botschaft ein.