Wider die Kriege
Anthologie "Die dünne dunkle Frau - Texte zum Krieg"
Bartsch, Wilhelm; Graul, Elisabeth; Sasse, Erich-Günther; Schwarz, Adalbert (Hrsg.) Die dünne dunkle Frau - Texte zum Krieg dr. harry-ziehten-verlag Oschersleben 2000 ISBN 3-932090-98-5
55 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges ist im dr.-harry-ziehten-verlag Oschersleben die Anthologie "Die dünne dunkle Frau - Texte zum Krieg" erschienen. Das vom Freien Deutschen Autorenverband und dem Literaturbüro Sachsen-Anhalt e.V. gemeinsam herausgegebene Buch umfasst 51 Einzelbeiträge vielfältiger literarischer Genres von 27 Autorinnen und Autoren und ist ein in dieser Art einzigartiges literarisches Dokument wider den Krieg in all seinen Formen auf der Welt.
Viel mehr als ein "Kriegsbuch"
Am Anfang dieser Anthologie steht die Geschichte "Die dünne dunkle Frau" von dem verstorbenen Autor Bernd-Dieter Hüge. Es sind die Anfangspassagen seiner großen Erzählung "Flucht und Welle, namenlos" zu lesen. Diese in bizarrer sprachlicher Diktion geschriebene Geschichte sensibilisiert den Leser für das von den 27 Autoren, von denen 16 den Zweiten Weltkrieg als Kind, Jugendlicher oder Soldat bewußt miterlebt und erlitten haben, für das Thema "Krieg". In der Titelgeschichte sagt die "dünne dunkle Frau" an einer Stelle: "Das haben wir nun zurückgekriegt. Wir haben bezahlt für das, was wir nicht bestellt haben. Doch hatten wir nicht dem Teufel zugejubelt, obwohl wir schon wissen konnten, dass es der Satan war. Und so ist es auch unsere Schuld." (Seite 14) Dieser Satz macht nachdenklich-betroffen und trifft zugleich prägnant das literarische Credo aller Geschichten, Reportagen, Essays und Gedichte, die in ihrer von den Herausgebern wohlüberlegten, zuweilen sicher auch gewollten kontrapunktierten Anordnung in dieser Anthologie Krieg und Zerstörung, Schuld, und Sühne, Tod und Trauer, Verzweiflung und Hoffnung, Kraft und Stärke der Schwachen und Entrechteten facettenreich mit den literarischen Gestaltungsformen von Prosa und Lyrik thematisieren.
Obwohl aus Anlass des 60. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges als literarisches Dokument gegen KRIEG konzipiert und mit großem persönlichen Engagement und politischer Verantwortung von den Herausgebern auf den Weg gebracht, ist diese Textsammlung viel mehr als ein "Kriegsbuch". Unmöglich die Lesegedanken zu allen Texten zu formulieren. (Manchmal macht Betroffenheit auch sprachlos!)
Da ist die kurze Geschichte "Feinde" von Christel Trausch (Jahrgang 1934). Menschen auf der Flucht und am Schluss der Satz, der in die Gegenwart zielt: "Hierzulande wissen nur noch wenige, was Flucht bedeutet, eine der Apokalypsen, die jetzt andere trifft. Bildschirmminuten sind kurz. Mitleid, Rührung, Spenden." (Seite 39) Elisabeth Graul (Jahrgang 1928) beschreibt auf etwas mehr als drei Buchseiten die "Angst in den Augen der Kinder - Begegnungen mit Menschen aus dem Kosovo". Im fast nüchternen Reportagestil geschrieben, gelingt es der Autorin, die ganze Perversion des Krieges, die Ohnmacht der Welt, Flucht und Vertreibung zu stoppen, das unendliche Leid von Menschen, vor allem von Kindern körperlich fühlbar werden zu lassen.
Wundervolle Poesie
Aktuell und mit Beispielen aus jüngster Vergangenheit von Golfkrieg (1991) bis Terror in Nah-Ost (2000) belegbar Herbert O. Glattauers (Jahrgang 1936) Auseinandersetzung mit den Medien anhand persönlicher Erfahrungen. Sein reportagehaftes Essay "Der Krieg als Medienereignis" bringt es auf den (sarkastischen) Punkt: "Würde es keine Kriege geben, würden die Medien sie inszenieren, um darüber zu berichten." (Seite 55) Wieviel Krieg ist eigentlich in uns, auch wenn mit Playstation und immer neuen, aggressiveren Games virtuelle Kriege entfesselt, gewonnen und verloren werden? Reinhard O. Hahn (Jahrgang 1947) beschreibt dies beängstigend realistisch in seiner Kurzgeschichte "Sieben Leben". Und dann gibt es neben vielem, was unerwähnt bleiben muss (auch weil man die Anthologie als Ganzes lesen muss!) wundervolle Poesie über FRIEDEN und Leben, über Natur und Menschen und Liebe. Die Anthologie öffnet auf eindrucksvolle Art und Weise einen Blick zurück nach vorn und ist somit von großer Aktualität und ebensolcher Bedeutung für die Kämpfe unserer Zeit.