Perspektiven der Forschung an unserer Universität
Interview mit dem Prorektor für Forschung Prof. Dr. Gerald Wolf
Wir alle haben wohl noch den markanten Satz von Wolfgang Thierse, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, im Ohr: "Die neuen Bundesländer stehen auf der Kippe." Sicher hat die Wirtschaft, auf die diese Aussage in erster Linie abzielte, besondere Probleme. Wie aber sieht es in unserer Forschungslandschaft aus? Zumindest betrachte ich die Situation als alarmierend genug, um einer Entwicklung zum Negativen hin mit voller Aufmerksamkeit zu begegnen. Wir sind in der universitären Forschung noch längst nicht so weit, dass bei bundesweit gleichen Vorgaben auch von gleichen Wettbewerbschancen ausgegangen werden kann. Osttarife und ein generelles Ausstattungsgefälle sorgen für einen brain drain von Ost nach West, ein Prozess, der, wenn er nicht nachhaltig gestoppt wird, möglicherweise eine schicksalhafte Selbstverstärkung erfahren wird.
Wie ist dies zu verstehen? Mit der politischen Wende war zugleich auch eine Wende in den Forschungsbedingungen an unserer Universität eingetreten. Die Ausstattung mit Geräten und Verbrauchsmaterialien verbesserte sich von Jahr zu Jahr, und dieser Trend schien eine Zeit lang grenzenlos. Die "Alteingesessenen" und die "Neuen" waren vom Pioniergeist gepackt. Die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen stieg stetig, parallel dazu der Umfang an eingeworbenen Drittmitteln. Im vergangenen Jahr aber hatten wir zum ersten Mal eine Stagnation bei diesen Forschungsindices zu beobachten, und dies muss beunruhigen, solange wir uns, in so manchen Bereichen jedenfalls, noch fernab vom Spitzenniveau vergleichbarer universitärer Einrichtungen im Westen Deutschlands bewegen.
Aber die Situation ist doch sicherlich nicht für alle Einrichtungen gleich? Tatsächlich haben wir es zum Teil mit erheblichen Leistungsunterschieden zu tun. Diese zeigen sich sowohl innerhalb der Einrichtungen unserer Fakultäten wie auch im interfakultären Leistungsvergleich. Ein großes Problem ist die Elle, die hierbei anzulegen ist. Ein ingenieurwissenschaftliches Institut ist ganz sicher nicht so ohne weiteres mit einem Institut auf geisteswissenschaftlichem Gebiet oder mit einer Klinik zu vergleichen. Wenn man aber gleichartige Einrichtungen bundesweit gegenüberstellt, kommen Differenzen zustande, die dann nicht mehr mit der Spezifität des Faches zu erklären sind. Aber auch dann noch ist eine realistische Bewertung oft nicht möglich, weil sich die personelle und die finanzielle Ausstattung unterscheiden, die Lehrbelastung und dergleichen mehr. Dennoch scheint offenkundig, dass an den einzelnen Instituten hier bei uns bald ein größeres, bald ein geringeres Bemühen um Erfolg zu verzeichnen ist.
Welche Chancen für die Erhöhung des Leistungspotentials sehen Sie? Unser Rektor hatte es so treffend formuliert: "Weil wir arm sind, müssen wir in die Bildung investieren." Dies ist ein Appell an die Politiker des Landes, mehr als bisher für die Forschung zu tun. In gleichem Maße ist der Bund aufgerufen. So ist ein großes Problem die tarifliche Benachteiligung des forschenden Personals gegenüber dem in den alten Bundesländern. Wenn dann noch hinzukommt, dass die Entwicklung der Forschungsmöglichkeiten an den Einrichtungen denen der alten Bundesländer hinterherhinkt - jedenfalls sagen das entsprechende Statistiken aus -, Forschungsgroßgeräte und große Forschungsprojekte kaum noch den Osten erreichen, haben wir wenig Chancen, den akademischen Nachwuchs zu motivieren, bei uns an der Universität zu bleiben oder von ferne her zu uns zu kommen. Insbesondere gilt dies für Spitzenleute. Und tatsächlich - wenn wir denn endlich die frohe Botschaft erhalten, mit einem Drittmittel-Antrag "durch" zu sein und Personalmittel zur Verfügung gestellt bekommen -, bewerben sich heute, anders als in den Vorjahren, nur noch wenige auf die ausgeschriebene Stelle hin, mitunter überhaupt niemand. Besonders prekär ist die Lage dort, wo wir uns den Arbeitsmarkt mit der Wirtschaft teilen müssen und mit dem dort angebotenen Salär auch nicht entfernt mitbieten können. Sehr leicht ist eine Art Schraube auszumachen, ein Circulus viciosus. Mittel werden nun mal nicht einfach verschenkt. Der Antragsteller muss dem Förderer durch Leistung imponieren und das sind in ganz besonderem Maße hochrangige Publikationen und natürlich - bitte setzen Sie, liebe Frau Perl, das kursiv - Forschungsverbünde. Wenn es an geeigneten Mitarbeitern mangelt, dann versanden auch die schönsten Forschungsideen, eine magerere Publikationsliste ist die unmittelbare Folge und die Attraktivität des Lehrstuhls nimmt aus der Sicht der Forschungsförderungseinrichtung ab. Dies wiederum führt zu verminderten Chancen bei nachfolgenden Anträgen. Und schon sind wir bei dem Kippe-Modell Thierses.
Was raten Sie nun zu tun, sollten sich die äußeren Bedingungen bei weiterhin knapper Kasse nicht ändern lassen? Resignation wäre nicht nur die schlechteste aller denkbaren Konsequenzen, sondern tatsächlich ungerechtfertigt. Sich um ein Maximum an Leistung zu bemühen, gehört zum Selbstverständnis eines jeden Wissenschaftlers, ob nun berufener Hochschullehrer, langjähriger, erfahrener Mitarbeiter oder Nachwuchswissenschaftler. Förderangebote durch Dritte gibt es ausreichend, sie müssen "ganz einfach" genutzt werden. Wir alle wissen, dass eine leistungsorientierte Besoldung der Professoren diskutiert wird und demnächst vielleicht auch wirklich auf die Universitäten zukommt. Ob dies ein Schlüssel für unsere Probleme ist, muss sich dann noch herausstellen. Am geringsten sollte das Motivationsproblem beim wissenschaftlichen Nachwuchs sein. Für ihn lohnt sich volle Leistung auch dann, wenn unmittelbare pekuniäre Anreize nicht vorgesehen sind. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen sehr gut, dass sie sich mit ihren Erfolgen eine Karriereleiter basteln. Den Nachwuchs für hochgesteckte Vorhaben zu motivieren, sollte daher eigentlich leichtfallen. Natürlich muss die Hochschullaufbahn wieder ein erfüllendes Ziel sein und mit einer Karriere in der Wirtschaft in vollem Umfang konkurrieren können. Ein ordentlicher Schuss Idealismus ist aber auch dann noch nötig und auf den wollen wir - wir Hochschullehrerinnen und -lehrer, die wir ja selbst davon beseelt sind - bei keinem unserer Mitarbeiter verzichten.
Vielen Dank für das Gespräch.