Stärken ausbauen, Schwächen abbauen
Intensive Diskussion um den Bericht der Arbeitsgruppe Wissenschaftsstruktur
Er war lang erwartet worden und sorgte bereits vor seiner Veröffentlichung für reichlich Aufregung - der Bericht der Arbeitsgruppe Wissenschaftsstruktur, die Sachsen-Anhalts Kultusminister Dr. Gerd Harms im Sommer 2000 als zeitweiliges, externes Beratungsgremium eingesetzt hatte. Die zehn Wissenschaftler und Hochschulexpertinnen unter Leitung des ehemaligen Wissenschaftsstaatssekretärs des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Dieter Swatek, hatten gut sechs Monate lang die Hochschullandschaft Sachsen-Anhalts unter die Lupe genommen. Kultusminister Harms wollte diese "Außensicht", um für Ministerium und Hochschulen eine Diskussionsgrundlage über die Steigerung von Qualität und Effizienz in Lehre und Forschung zu haben.
Finanzen sind der rote Faden
In der Einleitung zum Bericht stellte die Arbeitsgruppe fest, dass sie sich nicht als Gruppe von Sparkommissaren empfunden habe. Dennoch zieht sich das Wissen um die Geldknappheit wie ein roter Faden durch den Bericht. "Die Tatsache aber, dass die Hochschulen in den nächsten Jahren mit beschränkten Finanzmitteln auskommen müssen, ist aus Sicht der Arbeitsgruppe eine Rahmenbedingung, die sowohl in den zu erarbeitetenden Empfehlungen als auch in den daraus zu entwickelnden Umsetzungsmaßnahmen zu berücksichtigen war."
Deshalb die Grundforderung der Experten: "Sich auf Stärken zu konzentrieren und Schwächen abzubauen", d.h. sich auf das Machbare und Realisierbare zu beschränken und dabei auf Qualität zu setzten. Land und Hochschulen hätten eine hervorragende Auf- und Ausbauleistung erbracht. In Sachsen-Anhalt betrugen die Ausgaben für die Hochschulen im Jahr 1999 rund 351 DM je Einwohner. Sie lagen damit rund sieben Prozent über dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder, würdigte der Bericht. Verwies aber gleichzeitig darauf, dass die Hochschulen in den kommenden Jahren einem immer härteren Wettbewerb ausgesetzt sein werden. Die Empfehlungen sollten dabei helfen, sich diesem Wettbewerb stellen zu können, unterstrich der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Dr. Swatek. Dazu gaben die Experten mit auf den Weg, dass eine nachhaltige Flexibilisierung der Hochschulhaushalte erfolgen müsse, dass mehr auf berufsbezogene Weiterbildung orientiert werden müsse, dass duale Kompaktstudiengänge an weiteren Fachhochschulen eingerichtet werden sollten, dass das Hochschulmarketing als gemeinsame Aufgabe von Land und Hochschulen verstanden werden sollte, dass die Internationalisierung der Hochschulen vorangetrieben werden müsse, dass eine Modularisierung der Studienangebote erfolgen sollte und dass ein Qualifikations- und Innovationsfonds eingerichtet werden sollte.
Über diese Punkte bestand zwischen Kultusministerium, Hochschulen und Expertenkommission weitgehend Einigkeit. Strittig hingegen waren Einzelvorschläge wie beispielsweise die Konzentration der Lehrerausbildung in Halle, die Bewertung der juristischen und zahnmedizinischen Ausbildung in Halle, die Verlagerung der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge nach Magdeburg sowie die Zukunftsfähigkeit des Standortes Stendal. Letzte Frage ist inzwischen beantwortet, da sich der Kultusminister für den Erhalt des Standortes Stendal ausgesprochen hat.
Offene Diskussion mit Hochschulen
Bei der öffentlichen Vorstellung des gut 130 Seiten umfassenden Papiers sicherte der Kultusminister zu: "Wie im Einzelnen mit den Empfehlungen umzugehen ist, muss nun in einem offenen Diskussionprozess mit den Hochschuleinrichtungen erörtert werden." Der Minister beabsichtigt noch in diesem Jahr, dem Kabinett einen Maßnahmenkatalog vorzulegen.
Für die eingehende Prüfung und Beratung der Vorschläge sprach sich auch die Landesrektorenkonferenz (LRK) in einer Erklärung aus. Die Rektoren sicherten zu, dies sehr ernst zu nehmen und LRK-Präsident, Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann, Rektor unserer Universität, machte ausdrücklich darauf aufmerksam, dass es sich bei dem Expertenbericht um Empfehlungen handle. Empfehlungen, entstanden mit einem fremden Blick auf die Hochschullandschaft von Sachsen-Anhalt, in verhältnismäßig kurzer Zeit, festgemacht an relativ formalen Kriterien wie Auslastung der Lehrkapazität oder Drittmitteleinwerbung. Dennoch stelle der Bericht eine sachkundige und faire Bewertung dar.
Dem Konzil und Senat vorgestellt
In den vergangenen Wochen haben sich die Leitungen und die Gremien von Sachsen-Anhalts Universitäten und Hochschulen intensiv mit den Anregungen der Expertenkommission beschäftigt. Die Bewertung reichte von "grundweg abzulehen" über "katastrophal", "mehr als zweifelhaft" und "unzureichend" bis hin zu "durchaus positiv".
Rektor Pollmann stellte den Bericht dem Konzil und Senat vor. Er hob hervor, dass die Arbeitsgruppe den Beschlüssen des Senats zur Personal- und Stellenplanung zustimmte, die dieser auf der vom Kabinett vorgegebenen achtzigprozentigen Ausbauperspektive für die Universität festgelegt hat. Ausdrücklich begrüßt habe sie auch die Schaffung eines Stellenpools, der jedoch mit sechs Professorenstellen zu wenig Spielraum biete. Im Zusammenhang mit dem Expertenvorschlag einer verstärkten Orientierung auf Weiterbildung forderte Rektor Pollmann vom Land eine Regelung zur Gebührenerhebung.
Lehrerbildung ohne Regionalbezug?
Zur Lehrerausbildung unterstrich er, dass sie sich uneingeschränkt am Standort Magdeburg bewährt habe. Eine fehlende "kritischen Masse" von Studierenden, die Basis der Empfehlungen war, sei für den Moment nicht erkennbar. Für die Neuorientierung der Fakultät schlugen die Experten vor, Forschungs- und Entwicklungskonzepte zu erarbeiten, die stärker dem Profil der Universität entsprächen. Es wäre nicht tragbar, die Geisteswissenschaft als eine Servicewissenschaft für die Ingenieurwissenschaften zu betrachten, so der Rektor. Er warnte vor einer möglichen Absicht, die Lehrerausbildung an die Fachhochschulen zu verlagern, hatte doch die Kommission empfohlen, die Ausbildung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen in Halle in Kooperation mit der Fachhochschule Merseburg durchzuführen. Darin scheine sich ein Zeitgeist widerzuspiegeln, denn Expertenberichte in Sachsen und Nordrhein-Westfalen hatten ähnliches gefordert. "Kann sich Sachsen-Anhalt eine Lehrerausbildung ohne Regionalbezug leisten?" fragte Professor Pollmann mit Blick auf die Diskussion der Gruppe, in Sachsen-Anhalt auf die erste Phase der Lehrerausbildung ganz zu verzichten. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf die Chancengleichheit für die Studierenden, denn viele könnten sich ein Studium fernab vom Elternhaus nicht leisten. Außerdem machte er auf die Weiterbildungsangebote unserer Universität für Lehrer aufmerksam, die bereits sehr umfangreich bestehen.
Detaillierte Stellungnahme des Senats auf Juni-Sitzung
Die Otto-von-Guericke-Universität solle sich in der Diskussion um das Expertenpapier verstärkt durch Argumentation profilieren, empfahl Professor Pollmann. Dies sahen einige Mitglieder des Senat anders und forderten, in der Öffentlichkeit energischer gegen die Vorschläge zur Verlagerung der Lehrerausbildung von Magdeburg nach Halle Stellung zu beziehen. Denn sie befürchteten, wer am lautesten rufe werde am Ende am meisten erhalten. Über zwei Stunden hatten die Senatoren die Expertenvorschläge lebhaft diskutiert. Im Anschluss an die Senatssitzung wurde eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: "Im Hinblick auf den Vorschlag, die Lehrerbildung in Magdeburg zu schließen und ausschließlich in Halle zu konzentrieren, betont der Senat jetzt schon, dass aus seiner Sicht gewichtige Gründe gegen die Umsetzung dieser Empfehlung sprechen. Die seit der Presseveröffentlichung häufig an die Universität gerichtete Frage, ob man in Magdeburg noch ein Lehrerstudium beginnen kann, ist deshalb nach heutigem Erkenntnisstand eindeutig zu bejahen." Eine detaillierte Stellungnahme zum Papier der Arbeitsgruppe Wissenschaftsstruktur wird der Senat auf der Grundlage der Beratungsergebnisse der Fakultäten in seiner Juni-Sitzung verabschieden. Gleichzeitig erarbeitete das Rektorat ein Positionspapier zum Bericht, das es an zuständige Mitarbeiter im Kultusministerium, Parlamentarier und andere politische Entscheidungsträger schickte.
Studentenräte protestierten
Die Studentenräte beider Magdeburger Hochschuleinrichtungen protestierten mit deutlichen Worten gegen den Expertenbericht: "Mit dem Ende der Lehrerausbildung in Magdeburg soll die geisteswissenschaftliche Fakultät zu einer Servicestation der Technik- und Wirtschaftswissenschaften degradiert werden. Eine solche Fakultät, als bloßes Anhängsel einer zurückgestuften Technischen Universität, zeugt von mangelndem wissenschaftlichen und politischen Sachverstand."
Die Empfehlungen der sächsischen Hochschulstrukturkommission sollte sich auch Sachsen-Anhalt zum Vorbild nehmen, heißt es in der Erklärung weiter. Diese habe sich aus Gründen einer möglichst regionalen Ausrichtung der Lehrerausbildung gerade gegen die Konzentration an einer einzigen sächsischen Universität entschieden. Eine bloße Konzentration in einer Region, könne nur zum Nachteil anderer Regionen geschehen. Die Studenten hoben nachdrücklich hervor: "Eine flächenmäßig ausgewogene Hochschullandschaft ist eine wichtige Voraussetzung für die Innovationsfähigkeit Sachsen-Anhalts. Zwei Volluniversitäten sind die minimale Voraussetzung für ein wettbewerbs- und zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt."