Der Mythos vom Bewusstsein
Magdeburger Neurowissenschaftler Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze hielt Festvortrag auf 50. DFG-Jahrestagung
Vor fünfzig Jahren ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Förderung der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland neu gegründet worden. Hervorgegangen aus einer Fusion von Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und Deutschem Forschungsrat ist die DFG bis heute die zentrale Selbstverwaltungsorganisation der deutschen Wissenschaft und unterstützt und koordiniert Forschungsvorhaben in allen wissenschaftlichen Disziplinen. Die 50. Jahresversammlung der DFG seit der Wiedergründung fand im Juli 2001 in Berlin statt. Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete in seiner Ansprache die DFG als unverzichtbaren Anstoßgeber im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Grußworte hielten bei der Festveranstaltung die Präsidentin der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, Dr. Annette Schavan, sowie der Rektor der gastgebenden Universität, Professor Dr. Jürgen Mlynek. Im Anschluss daran gab DFG-Präsident Professor Ernst-Ludwig Winnacker, in Anwesenheit zahlreicher führender Repräsentanten aus Wirtschaft, Politik sowie Forschungseinrichtungen und Hochschulen einen Überblick über die Arbeit der Organisation und die augenblicklichen Fragestellungen.
Magdeburg weltweit führend
Prof. Winnacker wies in seiner Rede darauf hin, dass sich der Forschungsstandort Magdeburg - mit seiner Universität und dem Leibniz-Institut für Neurobiologie - in kürzester Zeit zu einem der weltweit führenden Zentren der bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung entwickelt habe. Der Magdeburger Neurowissenschaftler Professor Hans-Jochen Heinze, Direktor der Klinik für Neurologie II, war eingeladen, den Festvortrag auf der Jubiläumsveranstaltung zu halten. Der Universitätsprofessor gehört zu den acht deutschen Hirnforschern, die im Frühjahr vergangenen Jahres die Initiative "Dekade des menschlichen Gehirns (2000–2010)" nach amerikanischem Vorbild ins Leben gerufen haben. Für seinen Vortrag hatte der Magdeburger Hochschullehrer das Thema Kognitive Neurobiologie: Der Mythos vom Bewusstsein gewählt.
Der Kern von Bewusstsein
In seinen Ausführungen ging Professor Heinze auf Fragen und den aktuellen Erkenntnisstand der Erforschung des Zentrums aller geistigen, körperlichen und seelischen Leistungen - des menschlichen Gehirns - ein. Speziell beschäftigte er sich mit der Problematik der Beziehung zwischen Empfindungen, Geist und Bewusstsein aus Sicht der kognitiven Neurobiologie. Es ging also nicht um eine Auseinandersetzung mit dem philosophischen "Bewusstseins"-Begriff, sondern um das Bewusstsein "als das zentrale und unbezweifelbare Moment unseres wachen Erlebens". "Der Kern von Bewusstsein ist Subjektivität in der Form ,Wie es ist, zu sehen, wie es ist, zu fühlen und zu handeln', also eine Art innere Wahrnehmung des Organismus", sagte Professor Heinze einleitend. "Wir wollen sehen, welchen Weg die kognitive Neurobiologie einschlägt auf ihrer Suche nach dem Bewusstsein, dem Mysterium, das noch bis vor kurzem als unerforschlich galt, und welche Anwendungen sich daraus ergeben, und wir wollen prüfen, welche Bedeutung diese Forschung hat."
Durch die rasante Entwicklung so genannter bildgebender Verfahren in den vergangenen Jahren ist es den Neurowissenschaftlern möglich geworden, das Gehirn auch ohne chirurgische Eingriffe bei seinen Aktivitäten zu beobachten. Mit diesen Untersuchungsmethoden lassen sich nicht nur Strukturen, sondern auch Stoffwechselaktivitäten in Gehirnzellen anschaulich machen. Es lässt sich mit modernsten Verfahren, wie der Kernspintomographie und der Magnetenzephalographie verfolgen, wie Neuronenverbände von der Größe einiger Millimeter bei kognitiven Prozessen, etwa bei Prozessen der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung, aktiv werden und wie sie miteinander kommunizieren.
Prof. Heinze berichtete in diesem Zusammenhang über spezielle Untersuchungen von Hirnaktivitäten bei der Wahrnehmung und der Erinnerung. In diesem Zusammenhang wurde beispielsweise nachgewiesen, dass "bewusste visuelle Wahrnehmung" bestimmte räumlich-zeitliche Muster der Repräsentation von Information im visuellen System involviert, wobei die Kombination aufwärts- und abwärtsgerichteter Signale eine wichtige Rolle spielt. Andere Systeme haben Zugriff auf diese Muster, so dass die Information nicht isoliert, sondern in einem Kontext repräsentiert wird. Dieser Aspekt sei essentiell auch für komplexere Formen von Bewusstsein, die mit Selbstbewusstsein und Ich-Perspektive zu tun haben.
Geist und Gehirn
Die Tatsache, dass die kognitive Neurobiologie jetzt in der Lage ist, Zusammenhänge zwischen komplexen geistigen und neuronalen Vorgängen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu beschreiben, ermöglicht es, Störungen des Bewusstseins und bei anderen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen auf neuraler Ebene zu identifizieren und in Zukunft wahrscheinlich auch zu therapieren. Hinter diesen Untersuchungen steht auch die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Geist und Gehirn: Wird die neurobiologische Aufklärung am Ende den Geist zu einem kruden Reflex des Gehirns degradieren? Professor Heinze: "Wir können zwar lokale Relationen zwischen Bewusstsein und Gehirn abbilden, wir können diesen Relationen in Zeit und Raum immer weiter differenzieren, aber wir werden - auf diese Weise jedenfalls - der entscheidenden Frage nicht näherkommen: Was haben Neurone überhaupt mit Bewusstsein zu tun? Was verbindet physikalische und chemische Prozesse mit innerem Erleben? Dass wir diese Fragen nicht beantworten können, bedeutet natürlich nicht, Bewusstsein sei etwas Übernatürliches. Aber wir müssen wahrscheinlich akzeptieren, dass unsere Intelligenz nicht ausreicht, diese Fragen zu beantworten, und dass wir daher solche globalen Aussagen auch nicht treffen können."
In Zukunft werde es möglich sein, so der Magdeburger Neurowissenschaftler, in immer plastischeren, präziseren Bildern zu beschreiben, wie Geist und Gehirn einander zugeordnet sind, "so dass es eines Tages vielleicht sinnvoll ist, von einer Art Äquivalenz zwischen Geist und Gehirn zu sprechen, eine Äquivalenz allerdings, deren Randbedingungen wir nicht kennen. Und so eine Äquivalenz, gewissermaßen mit verschwimmenden Rändern, würde das geistige Leben eben nicht auf einen neuralen Reflex reduzieren, sie würde vielmehr die innere Struktur und Eigenständigkeit der geistigen Welt, ihre großartige Schönheit, nur auf eine bestimmte Weise widerspiegeln", betonte Professor Heinze.