EU-Osterweiterung ist Chance und Herausforderung
650 Wirtschaftswissenschaftler trafen sich zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik an unserer Universität
Wieviel Wettbewerb braucht die Europäische Union? Wie ist es um die Fusionsfähigkeit einzelner Staaten bestellt? Welche Rolle spielt die Arbeitsmarktpolitik in der Welt der Globalisierung? Dies sind einige der Fragen, denen Ende September 2001 rund 650 Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz während der viertägigen Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik unter dem Thema "Wettbewerb der Institutionen" nachgegangen sind. Gastgeber für die Jahrestagung 2001 war die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft unserer Universität.
Für die Tagungsorganisation trugen Prof. Dr. Gerhard Schwödiauer und Prof. Dr. Karl Inderfurth die Verantwortung. In rund 225 Vorträgen, zahlreichen Workshops und Podiumsdiskussionen wurden aktuelle politische Fragen u.a. zur europäischen Zentralbank, zur Bildungspolitik, zum Verhältnis von Wissenschaft und Statistik oder zur Wirtschaft in Ostdeutschland diskutiert.
Werde die ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung mit einem Glas Wasser verglichen, so könne es halb leer, aber auch halb voll genannt werden, meinte Professor Schwödiauer. Um den Aufholprozess des Ostens gegenüber dem Westen wieder in Gang zu bringen, müssten die Gelder des Solidarpaktes II verstärkt in die Infrastruktur fließen. Er warnte jedoch davor, die Subventionsinstrumente des Westens für diese Angleichung zu nutzen. Hier sei der Wettbewerb der Institutionen geboten. Zwar wäre der zweite Arbeitsmarkt eine soziale Notwendigkeit, rein ökonomisch gesehen aber ein Irrweg, darin waren sich die Experten einig. Es werde am Bedarf vorbei qualifiziert.
Aufholprozess stagniert
Den Hauptgrund dafür, dass der Aufholprozess zwischen Ost und West derzeit nicht stattfinde sah Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts München, in der immer stärker auseinanderklaffenden Lohn- und Produktivitätsentwicklung. In diesem Zusammenhang machte Gerhard Schwödiauer aber auch auf die bemerkenswerte Dynamik vor allem in der gewerblich-industriellen Produktion und den innovationsorientierten Unternehmen, zum Teil sogar in den exportorientierten Branchen, der neuen Länder aufmerksam. In den kommenden Jahren stünde die Politik vor allem im Hinblick auf die EU-Osterweiterung gleichermaßen sowohl vor einer Chance als auch Herausforderung.
Eher verhalten blickten die Ökonomen auf die Regelungskompetenzen der europäischen Behörden und die Steuerung des Wettbewerbs auf dem europäischen Markt. Einem Bundesstaat Europa beschieden sie eine Absage, zu unterschiedlich seien die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen der Mitgliedsländer. Der EU-Kommissar für Wettbewerb, Mario Monti, hatte in einem Vortrag Deutschland und die europäische Wettbewerbsentwicklung betrachtet.
Der Verein für Socialpolitik ist im Jahr 1873 gegründet worden. Die Vereinsgründung richtete sich einerseits gegen Laissez faire in der Sozialpolitik und andererseits gegen die sozialrevolutionären Ideen des aufkommenden Sozialismus. Bereits 1907 traf sich die Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Magdeburg, um über die berufsmäßige Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte zu debattierten. Nach seiner Selbstauflösung 1939 und Wiedergründung 1948 hat sich der Verein "die wissenschaftliche Erörterung wirschafts- und sozialwissenschaftlicher sowie wirtschafts- und sozialpolitischer Probleme in Wort und Schrift wie auch die Pflege internationaler Beziehungen innerhalb der Fachwissenschaft" in die Satzung geschrieben.
Wichtigste Gesellschaft
Mit seinen knapp 3000 Mitgliedern ist der Verein heute eine der wichtigsten wissenschaftlichen Gesellschaften der deutschsprachigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Jährlich einmal zeichnet der Verein einen Wirtschaftswissenschaftler aus dem deutschen Sprachraum, der mit seinen Arbeiten internationales Ansehen gewonnen hat, mit dem Gossen-Preis aus. In diesem Jahr erhielt den Preis Prof. Dr. Klaus M. Schmidt von der Universität München. Das Ziel des Preises ist es, die Internationalisierung der deutschen Wirtschaftswissenschaft zu fördern. Im Rahmen der Preisverleihung hielt Carl Christian von Weizsäcker, Universität Köln, die Johann-Heinrich-von-Thünen-Vorlesung "Der Begriff der Effizienz bei endogenen Präferenzen - Axiome und ein Theorem". Mit dieser Vorlesung wird ein verdientes Mitglied des Vereins geehrt.