Gewalt ist grundlegender Bestandteil der Zivilisation
Eine psychoanalytische Fachtagung in Magdeburg
Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V. (DGPT) veranstaltete im vergangenen Jahr ihre 52. Jahrestagung in Magdeburg. Gekommen waren annähernd 700 Tagungsteilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet. In Plenarvorträgen, parallelen Vorträgen und Arbeitsgruppen beschäftigten sie sich mit dem Phänomen der Gewalt nicht nur in klinisch-psychopathologischen Zusammenhängen, sondern auch im gesellschaftlichen Leben. Sie konnten dabei auf eine jahrzehntelange psychoanalytische Auseinandersetzung mit Gewaltphänomenen zurückgreifen. Psychoanalytiker haben stets mit Nachdruck auf die menschliche Aggressivität verwiesen und dabei deutlich gemacht, dass Gewalt konstitutiver Bestandteil menschlicher Zivilisation ist. Nur der kulturell erzwungene Verzicht auf "Inzest, Kannibalismus und Mordlust", wie Freud es 1927 formulierte, scheint in dieser Perspektive Zivilisation zu sichern, führt andererseits aber zu einer ständigen unbewussten Rebellion gegen die Unterdrückung dieser Triebwünsche. Gewalt kommt also nicht von außen als das Fremde und überraschend Unerklärliche. Eher scheint sie interner, vielleicht sogar unverzichtbarer Bestandteil unserer auf Fortschritt ausgerichteten Zivilisation zu sein.
Mehrere Vorträge und Symposien der Tagung setzten sich mit gesellschaftlichen Gewaltphänomenen, beispielsweise rechtsradikaler Gewalt, auseinander. Unter dem Stichwort "Kultur, Kunst, Sublimierung" befasste sie sich weiter mit Formen der künstlerischen Verarbeitung von Gewaltphänomenen. Schließlich wurde das Augenmerk auch auf den Gewaltaspekt in psychopathologischen Symptomen und psychoanalytischen Behandlungen gerichtet.
Religiöser Fundamentalismus
Der Abschlussvortrag von Vamik D. Volkan, Professor am Center for the Study of the Mind and Human Interaction am Universitätsklinikum der University of Virginia in Charlottesville, war einer der Höhepunkte der Tagung. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Spätfolgen politischer Traumatisierungen im Nahen Osten und berät in dieser Kompetenz auch nordamerikanische Regierungsorgane. Unter dem Eindruck des 11. Septembers 2001 änderte er das Thema seines Vortrages und sprach über religiösen Fundamentalismus. Überraschend war seine einleitende Bemerkung, dass fundamentalistische religiöse Überzeugungen in den USA ein relativ verbreitetes Phänomen sind. Zahlreiche Religionsgemeinschaften haben eine hohe interne Kohäsion, grenzen sich massiv gegen gesellschaftliche Einflüsse ab und stehen in einem latent aggressiven Spannungsverhältnis zur Gesamtgesellschaft. In dieser Entwicklung sieht Prof. Volkan nicht unbeträchtliche Gefahren für die zukünftige Gesellschaftsentwicklung. Die Erziehung von potentiellen Selbstmordattentätern in der arabischen Welt folgt, so konnte dies Volkan auch an eigenen Studien mit Palästinenserkindern zeigen, durch die frühe Ersetzung einer individuellen Identität durch eine Gruppenidentität, durch die strenge Separierung der Geschlechter in einem extrem autoritär geprägtem Klima sowie durch eine frühe religiöse Fixierung auf das Leben im Jenseits.
Eine hochinteressante Tagung, nicht nur für klinische Psychoanalytiker, sondern auch für die aus anderen Berufsgruppen stammenden Gäste der Tagung. Als Monographie werden beim Psychosozial-Verlag in Gießen die wesentlichen Beiträge der DGPT-Jahrestagung, in deren Organisation auch die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums und das Institut für Psychoanalyse sowie Psychotherapie Magdeburg e.V. eingebunden war, erscheinen. Das Institut ist eines von 50 Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, die von der DGPT anerkannt sind. Die Gesellschaft selbst wurde 1949 als berufspolitisches Dach der an Freud, Jung und Adler orientierten psychoanalytischen Gesellschaften gegründet. Ihr erster Präsident war Viktor von Weizsäcker. Die Wahrnehmung und Vertretung der gemeinsamen Interessen der Psychoanalytiker, unabhängig von ihrem ärztlichen oder psychologischen Grundberuf ist die Hauptaufgabe der DGPT. Wichtige Meilensteine in der Geschichte dieser Fachgesellschaft waren u.a. die Einführung der Zusatzbezeichnungen "Psychotherapie" 1958 und "Psychoanalyse" 1978, die Einbeziehung nichtärztlicher Psychotherapeuten in die kassenärztliche Versorgung seit 1971, die Anerkennung der chronischen Neurose als Krankheit 1976 sowie die Schaffung des Psychotherapeutengesetzes für Diplom-Psychologen 1999.