Sehr intensive Aufbauarbeit

29.03.2002 -  

Vernetzung der Frauen- und Geschlechtergeschichte

Hexenglaube und Hexenprozesse in Mitteleuropa hatte das Hauptseminar zum Thema, das Dr. Eva Labouvie im zurückliegenden Wintersemester anbot, und um die Reformation in Europa ging es in ihrer Vorlesung. Diejenigen, die sich trotz oder gerade wegen dieser andersartigen Themen zu den Lehrveranstaltungen der Gastprofessorin, einfanden, waren lebhaft an den kultur- und geschlechterhistorischen Fragestellungen interessiert. Die Wissenschaftlerin - bisher Privatdozentin am Historischen Institut der Universität des Saarlandes und als solche tätig an der "Arbeitsstelle für historische Kulturforschung" sowie Inhaberin der "Forschungsstelle für Regionalgeschichte des Saar-Lor-Lux-Raumes" - vertrat im vergangenen Semester am Institut für Geschichte den Lehrstuhl "Geschichte der Neuzeit mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung", den sie zum Sommersemester 2002 übernehmen wird.

Mit Erstaunen stellten die Studierenden in der Übung zum Kindsmord fest, dass die heutige Gesetzgebung dazu z.T. im Wortlaut noch jener des 18. Jahrhunderts entspricht. Im "Hexenseminar" waren die Studierenden so interessiert, dass sie sogar in Archiven recherchierten, um dort weitere Quellen zur Hexenverfolgung in der Region Sachsen-Anhalt zu finden. Und in der Vorlesung zur Reformation wurde sogar gesungen. Ein Seniorstudent hatte in einem protestantischen Gebetbuch Weihnachts- und Kirchenlieder von berühmten Reformatoren gefunden. Im Sommersemester wird die Hochschullehrerin, die im Februar 2002 als Koordinatorin des "Arbeitskreises historische Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland" die Betreuung der historischen Geschlechterforschung in den neuen Bundesländern übernahm, u.a. eine Vorlesung zu Konfessionalisierung in Europa mit dem Untertitel "Neuordnung der Bekenntnisse, ,Heilige Kriege' und die Entstehung religiöser Toleranz" sowie ein Hauptseminar zu Haushalt und Familie in Europa und ein Proseminar zum Bauernkrieg anbieten.

Ihr Lehrstuhl war bis dato an der Magdeburger Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften nicht institutionalisiert. Zudem ist ihre Professur die erste für Geschlechterforschung im Land. "Daher bleibt viel zu tun", blickt Eva Labouvie in die Zukunft. Grundlagen müssen sowohl im Bereich der Geschichte des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts als auch auf dem Gebiet der Geschlechtergeschichte geschaffen werden. Bücher und Lehrmaterialien sind kaum vorhanden, müssen beschafft werden, um Forschung und Lehre zu gewährleisten. "Es wird also eine sehr intensive Aufbauarbeit sowohl für Lehre und Forschung, als auch für die Nachwuchsförderung zu Themen der Geschlechtergeschichte und Frauenförderung nötig sein." Die Hochschullehrerin hofft sehr auf finanzielle Unterstützung bei der Vernetzung der Frauen- und Geschlechtergeschichte in Sachsen-Anhalt durch Projekte, Vortragsreihen, Fachtagungen, Kolloquien sowie bei der Etablierung neuer Forschungsprogramme am Magdeburger Institut für Geschichte, vor allem vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Fachkommission Frauenforschung des Beirates für Wissenschaft und Forschung und dem Programm der Landesregierung zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen in der Forschung. "Ohne professionelle und mit dem Schwerpunktgebiet des Lehrstuhls vertraute Mitarbeiterinnen, kann ich jedoch meine Pläne in der Lehre und vor allem in der Forschung nur zu einem sehr kleinen Teil verwirklichen", meint die Historikerin, deren Lehrstuhl derzeit ein Ein-Frau-Projekt ohne Assistentinnen auf Dauer ist.

Die Veröffentlichungen von Eva Labouvie zählen mehr als 60 Titel, ihre Forschungsthemen füllen dicht beschrieben eine A4-Seite. Religions- und Frömmigkeitsgeschichte, Politik- und Rechtsgeschichte, Medizin-, Sozial-, Wirtschaftsgeschichte, Ikonographie- und Wahrnehmungsgeschichte, Geschichte des Körpers und der Emotionen sowie Umweltgeschichte und die Entstehung der Naturwissenschaften beschreiben nur eine grobe Auswahl ihrer sozial-, kultur- und regionalgeschichtlichen Untersuchungen zur Geschichte der Neuzeit (1500-1850) in Deutschland, Frankreich und Luxemburg. Zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machte die Wissenschaftlerin eben die Erforschung der Geschlechterbeziehungen von der Frühen Neuzeit bis zum beginnenden 20. Jahrhundert unter historischen, kunstgeschichtlichen, medizin- und rechtshistorischen sowie sozialen und politischen Aspekten.

Das 16. bis 18. Jahrhundert wird gern als "Inkubationszeit" oder "Geburtsstunde" der Moderne bezeichnet, weil sich in diesen Jahrhunderten die Keimform aller großen Wandlungsprozesse und Konflikte der Moderne ausprägten. Wer also Gegenwart als das Resultat eines kulturellen, politischen und ökonomischen Wandlungsprozesses verstehen möchte, sollte sich nicht mit einem Blick nur in die jüngste Vergangenheit oder ins 19. Jahrhundert begnügen. "Die so genannte ,Vormoderne' steht uns heute in vielem näher als allgemein angenommen und führt zu erstaunlichen Entdeckungen", erzählt Eva Labouvie, die Deutschland in der weltweit agierenden "International Federation for Research in Women's History" vertritt. So ist Aufklärung von ihren Protagonisten her eine sehr elitäre und keineswegs geschlechtsübergreifende Angelegenheit. Und die "Geschlechtercharakterisierung" - Frauen schwach und emotional, Männer stark und rational – stammt auch erst aus dem 18. Jahrhundert. "Der Blick in die Zeit zwischen 1500 und 1800 revidiert nicht nur Vorstellungen von der ,finsteren' Vormoderne, sondern verweist durchaus auf ,Ökonomien des Machbaren' und auf den Prozess der Genese mit Brüchen und Widersprüchen in die heutige ,Moderne'", meint Eva Labouvie.

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