Ein Zeichen der Solidarität
Magdeburger Orthopäden operieren ehemalige Zwangsarbeiter
Lange Zeit sind die Zwangsarbeiter, die im Verlauf des 2. Weltkrieges aus Konzentrationslagern und vielen Ländern Europas nach Deutschland verschleppt worden sind, geradezu vergessen worden. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis unter dem Druck von Kollektivklagen eine finanzielle Entschädigung für die noch lebenden Betroffenen realisiert worden ist. Ein Schlussstrich bedeutet dies jedoch nicht, den kann es auch nicht geben.
Umso begrüßenswerter ist die Initiative "Aktive Solidarität für ehemalige Zwangsarbeiter" unserer Klinik für Orthopädie unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfram Neumann, die eine große Resonanz gefunden hat.
Im Namen der Otto-von-Guericke-Universität sage ich dafür herzlich danke.
Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann; Rektor
Samstagnachmittag. Orthopädische Universitätsklinik Magdeburg. OP-Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Routine für das Team um den Orthopäden Prof. Dr. Wolfram Neumann und doch etwas Besonderes. Die ehemalige Zwangsarbeiterin Wiera Matys aus Polen erhält zwei Kniegelenksprothesen. Natürlich habe sie Angst vor der Operation, erzählt sie dem ARD-Korrespondenten Thomas Baumann, der sie mit einem Kamerateam auf der Fahrt nach Magdeburg begleitet. Ihre Tochter ist ebenfalls dabei. Nie hätte die ehemalige Zwangsarbeiterin gedacht, noch einmal nach Deutschland zu kommen. Nun werde ihr geholfen, werde sie von ihren unerträglichen Schmerzen erlöst. Bereits wenige Tage nach der Operation unternimmt Wiera Matys erste Gehversuche. Die 78-jährige Patientin ist zuversichtlich, vielleicht sogar wieder ohne Gehhilfen in ihrem kleinen Garten werkeln zu können. Der ist nahe der russischen Grenze im polnischen Dörfchen Bialo Wiesa bei Bialystok. Seit drei Jahren wartet sie auf Implantate. Die polnischen Ärzte machten ihr da wenig Hoffnung. Selbst kaufen kann sie sich bei umgerechnet 250 Euro monatlicher Rente keine.
Wiera Matys war die erste Patientin der Initiative "Aktive Solidarität für ehemalige Zwangsarbeiter". Auf dem Deutschen Orthopädenkongress im Oktober 2001 wurde die Aktion in Berlin ins Leben gerufen. "Damit wollen auch wir Ärzte uns mit einer ganz konkreten Hilfe an der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter des NS-Regimes aus osteuropäischen Staaten beteiligen", erklärte der Initiator der Aktion, Professor Wolfram Neumann. Der Direktor der Magdeburger Orthopädischen Universitätsklinik hofft, dass er und seine Kollegen mit dieser Aktion als ein Zeichen der Solidarität etwas zur Versöhnung mit den Völkern Mittel- und Osteuropas und vor allem zur Abtragung der Schuld gegenüber den Menschen, denen im Dritten Reich so viel Leid zugefügt wurde, beitragen können. Personen, die nachweislich bedürftig sind und sich in einer wirtschaftlichen Notlage befinden, bieten die Orthopäden an, sich kostenlos in deutschen Kliniken operieren zu lassen. Bei entsprechenden Verschleißerscheinungen werden künstliche Gelenke, wie Knie- oder Hüftendoprothesen, eingesetzt. Die Prüfung der Hilfsbedürftigkeit erfolgt grundsätzlich über Partnerorganisationen vor Ort und auf Empfehlung zur Operation durch Fachkollegen des Heimatlandes.
Brot und Rübensuppe
Wiera Matys war noch nicht einmal 18, als sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland kam. In Ostpreußen musste sie auf einem Bauernhof Kühe melken und füttern, bei der Ernte helfen. Gewohnt habe sie in einem Schweinestall ohne Heizung. Nur eine Liege und eine Decke gab es und zwei Scheiben Brot mit Rübensuppe, erzählte die Polin dem Fernsehteam. Als die Front näher rückte, kam sie zur Zwangsarbeit in einen Steinbruch, später in eine Konservenfabrik. Am 19. April 1945 wurde sie bei Gefechtshandlungen schwer verletzt. Russische Soldaten retteten ihr Leben, brachten sie nach Moskau ins Krankenhaus. Erst 1947 kam sie nach Hause zurück. Seit vielen Jahren hat Wiera Matys gesundheitliche Probleme mit den Kniegelenken und der Wirbelsäule. Deswegen musste sie in der Vergangenenheit bereits mehrmals operiert werden. Nun hatte die Polin eine weitere Operation, diesmal in Deutschland, in Magdeburg.
In der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt wurde ein Koordinierungszentrum für die Initiative "Aktive Solidarität" eingerichtet. Hier wird künftig die Auswahl und Weiterleitung der Patienten an die einladende Klinik erfolgen. Inzwischen sind es fast 100 Kliniken in ganz Deutschland, die sich der Aktion angeschlossen haben, einige sogar in Österreich. Geplant ist es, drei bis fünf Patienten pro Jahr zu behandeln. An die 13 000 Euro kostet eine solche beidseitige Knieoperation einschließlich des Krankenhausaufenthaltes. Ärzte und Schwestern arbeiten in ihrer Freizeit, Implantathersteller geben Prothesen kostenlos, die Krankenhausträger unterstützen den Aufenthalt der Patienten. Rund 1000 Anfragen aus Polen, der Ukraine, Weißrussland und anderen Ländern liegen bereits vor. Im September wurde der ehemalige Zwangsarbeiter Stanislaw Szymanski aus Polen am Univeristätsklinikum operiert.