Produktentwicklung in Real Life

07.04.2003 -  

Internationale Studententeams der Studienrichtung Integrierte Produktentwicklung stellten Projekte vor

In einer gemeinsamen Präsentation stellten 35 deutsche, ungarische (von der TU Budapest) und niederländische Studenten (von der Fontys Hogscholen in Eindhoven) in der Semesterpause ihre Projekte der Studienrichtung Integrierte Produktentwicklung (IPE) des Wintersemesters 02/03 vor. Diese Projekte waren ein Mountain-Bike (das "IPE-Bike") mit einem völlig neuen Antriebs- und Rahmenkonzept sowie eine virtuelle Tastatur.

Seit dem Wintersemester 2000 gibt es die Studienrichtung IPE an unserer Universität. Sie wird vom Lehrstuhl für Maschinenbauinformatik angeboten. Ein Kennzeichen dieser Studienrichtung ist die Arbeit in studentischen Projekten, damit Studenten eine Produktentwicklung "am eigenen Leib" erfahren können. Anhand konkreter Aufgabenstellungen aus Unternehmen der Region werden den Studenten alle notwendigen Schritte zur Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen sowie deren methodische und rechentechnische Unterstützung vermittelt. Die Projekte werden auch vom jeweiligen Unternehmen begleitet. Dies ist unser Beitrag zur Vermittlung kostenfreier Entwicklungsleistungen und deren Know-How in die Unternehmen unseres Landes sowie unser Versuch, die Studenten für den Berufseinstieg in der Region zu motivieren.

In der Zusammenarbeit zweier deutscher, eines ungarischen und eines niederländischen Teams entstand im Wintersemester ein vollgefedertes Mountain-Bike mit wartungsarmen Antrieb, der verschmierte Hosenbeine durch ölige Ketten der Vergangenheit angehören lässt. Eine gekapselte Getriebeeinheit überträgt die Antriebskräfte neutral über einen Zahnriemen an die Hinterradnabe. Besonders ist deren Aufnahme. Durch die Neuentwicklung einer Einarmschwinge wird das Wechseln des Hinterrades z. B. bei einer Reifenpanne oder beim Transportieren zum Kinderspiel.

Internationalität und Interdisziplinarität waren wesentliche Elemente in diesem Projekt. Die Entwicklung der "Hardware" des Mountain-Bikes war eine Domäne der deutschen und des ungarischen Teams. Neue Konzepte für elektronische Schaltungen und ABS erarbeiteten die Niederländer, die dort ihren Ausbildungsschwerpunkt haben.

"Nicht die Lösung technischer Probleme bereiten uns Schwierigkeiten - über die freuen wir uns -, sondern das Wie, die Zusammenarbeit und die Abläufe" ist eine bekannte Erfahrung aus der Ingenieurswelt. So auch in diesen Projekten. Alle Teams hatten individuelle Projektstarts, bedingt durch unterschiedliche Anfangszeiten der jeweiligen Semester. Das Erzeugen eines einheitlichen Verständnisses über die Projektziele, mündend in jeweils präzisierten Aufgabenstellungen, machte es erforderlich, sich über ein einheitliches Kommunikationskonzept Gedanken zu machen. Hierzu wurden Kommunikationsmanager in den Teams bestimmt, spezielle News-Groups und email-Verteiler eingerichtet sowie die Nutzung von Chat und Videoconferencing in der Projektsprache Englisch vereinbart.

Die Planung der einzelnen Arbeitspakete erfolgte dann individuell mit der Vereinbarung von Meilensteinen zur Übergabe von Zwischenergebnissen. Spätestens hier knirschte es in den Projekten, da unterschiedliche Vorgehensweisen, durch die anspruchsvolle Aufgabenstellung provozierte Zielkonflikte, unterschiedliche und inkonsistente Produktdaten-Stände und nicht zuletzt auch kulturelle Unterschiede zu (zum Teil erwarteten) Schwierigkeiten führten. Aber genau diese Schwierigkeiten (und ihre Überwindung) markieren die Herausforderungen der heutigen Industrie bei steigender Produkt- und Prozesskomplexität und zunehmender Globalisierung.

Produktentwicklung in Real Life bedeutet für die Studenten dieser Studienrichtung, mit dem integrativen Ansatz der IPE geeignete Lösungen zu finden und umzusetzen. Die opportune Anwendung bekannter Konstruktionsmethodiken (etwa nach Pahl/Beitz) im Wechselspiel mit der Vorgehensweise des Technischen Designs, die Arbeit mit einem Produktdatenmanagementsystem mit verteiltem Zugriff, moderierte und teilweise virtuelle Meetings, transparente Projektstände, die gegenseitige Motivation und Anerkennung waren einige der Aspekte, die wesentlich zum Projekterfolg beitrugen.

Von diesem Erfolg konnten sich die Betreuer des Projektes während der Abschlusspräsentation Ende Januar 2003 überzeugen. Neben der Erfüllung der gestellten Anforderungen, des erzielten Innovationsgrads und der Qualität des neuen Produkts waren hier auch die Präsentationsfähigkeiten der Studenten gefragt.

Ausser dem IPE-Bike wurde eine virtuelle Tastatur, entstanden in der Zusammenarbeit von Deutschen und Niederländern, vorgestellt. Hierbei wird ein Tastaturlayout auf jede beliebige Oberfläche projiziert. Die Anschläge werden über Ultraschallsensoren abgefragt. Die Besonderheit dieser Lösung im Gegensatz zu der klassischen physischen Tastatur ist deren Nutzung in Räumen mit besonderen Anforderungen an die Sauberkeit, z. B. Labore.

"Was lässt sich noch verbessern?" ist eine der wichtigsten Fragen am Ende jedes Projektes, wenn Erfahrungen und Wissen gesammelt und für kommende Projekte genutzt werden sollen. In einer gemeinsamen Überprüfung wurden dazu die entsprechenden Ergebnisse ("Lessons learned") zusammengetragen. Diese betrafen im wesentlichen den besseren Informationsaustausch (es war erstaunlich zu sehen, wie selbst bei dieser Projektarbeit kulturelle Unterschiede zwischen den Beteiligten auftraten).

Doch nicht nur bei den Studenten ist die Frage nach der laufenden Verbesserung der Projekte groß. Auch die Organisatoren denken ständig über Verbesserungen von Struktur und Inhalten der Ausbildung nach, um die Attraktivität der IPE weiter zu steigern, denn "wir glauben mit dieser neuen Form der Ausbildung auf dem rechten Weg zu sein. Die Begeisterung der Studenten in den Projekten und der ständig wachsende Zuspruch der Studienrichtung scheinen uns recht zu geben.", so Prof. Sándor Vajna, der Leiter der Studienrichtung.

Derartige Projekte haben einen deutlich höheren Aufwand als klassische Ausbildungsformen. Sie müssen im Vorfeld hinsichtlich Art und Umfang mit den beteiligten Partneruniversitäten abgestimmt werden, bedürfen eines höheren Betreuungsaufwandes für die Studenten und kosten Geld, wenn es um Firmenbesuche und gemeinsame Abschlußpräsentationen oder aber auch Materialien zum Bau von Prototypen geht. Diese Kosten trägt der Lehrstuhl für Maschinenbauinformatik einstweilen alleine.

Ein weiter Aspekt ist der Wunsch nach dem Bereitstellen von geeigneten Räumlichkeiten für die Studenten der IPE. Hilfreich wäre (zusätzlich zu den vorhandenen Rechnerlabors) ein Modellraum mit Werkzeugen zur Gestaltung und Bearbeitung von Modellen, in dem die Studenten ihre Entwürfe gleichzeitig analog und digital bearbeiten können. Gerade in der Konzeptions- und der frühen Entwurfsphase ist die Arbeit mit einfachen Handskizzen- und Modellen, so wie sie im Bereich des technischen Designs üblich ist, unerlässlich. Im Sinne einer durchgängigen Informationsverarbeitung müssen diese Modelle dann jedoch immer wieder in die digitale Form überführt werden, und zwar nicht nur einmal, sondern im steten Hin und Her, bis die optimale Lösungsgüte erreicht ist, die bereits zu diesem Zeitpunkt ca. 75 % der späteren Herstellungskosten und -qualität bestimmt. "Noch gibt es diese Unterstützung leider nicht," bedauert Diplom-Designer Gatzky im Hinblick auf den angestrebten Modellraum.

Auch in Zukunft liegt die Herausforderung der Studienrichtung IPE in Integration und Zusammenspiel verschiedener, dem aktuellen Bedarf der Industrie gerecht werdender Ausbildungsinhalte. Zu den Projekten des Sommersemester 2003 gehören z. B. die Weiterentwicklung eines Migränetherapie-Gerätes für die Fa. Krüger&Gothe Staßfurt (das Basisgerät wurde bereits von einem IPE-Team entwickelt) sowie die Entwicklung eines Trimarans für die Fa. Poucher. Neu im Sommersemester ist die Zusammenarbeit mit dem Bereich Marketing der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft und mit Studenten des Fachbereiches Sport und Technik.

Alle bisherigen Projekte der Studienrichtung IPE werden im Juni 2003 im "Glaskasten" am Haupteingang unserer Universität ausgestellt. Dort werden dann auch die nächsten Abschlusspräsentationen stattfinden. 

Letzte Änderung: 07.04.2003 - Ansprechpartner: Webmaster