Besorgnis über Zukunft des Studienstandortes Magdeburg
Große Demonstration der Magdeburger Universität und Hochschule gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Landesregierung
Die Spitze des Demonstrationszuges hat fast schon den Universitätsplatz erreicht, während die letzten Demonstranten noch auf der Grünfläche vor dem Fakultätsgebäude der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften ihre Transparente sortieren. Am Theater warten Studierende und Mitarbeiter der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH). und der Protestzug wächst auf über 3000 Demonstranten an. Sie marschieren auf dem Breiten Weg zum Domplatz vor den Landtag, um dort mit Trillerpfeifen, Fahrradklingeln, Bongotrommeln, Pauken und Saxophonen lautstark auf sich aufmerksam zu machen und die Abgeordneten aus dem Sitzungssaal zu locken. Aufgerufen hatte der Fachschaftsrat der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften zu dieser Protestaktion Mitte Mai 2003, der sich nicht nur Uni-Angehörige und Studierende der Hochschule Magdeburg-Stendal anschlossen, sondern auch Künstler der Magdeburger Bühnen, Vertreter der Stadt Magdeburg, der Gewerkschaften sowie Lehrer aus Schulen der Region.
Durch den Sparkurs der Landesregierung sehen die Demonstranten vor allem den Standort Magdeburg gefährdet, fürchten, dass die Hochschulen der Landeshauptstadt zum Verlierer in der geplanten Strukturreform der Hochschullandschaft Sachsen-Anhalts werden. 30 Millionen Euro müssen eingespart werden. Ab 2006 sollen die Hochschulen mit 90 Prozent ihres bisherigen Etats auskommen. Deshalb wird für die Universitäten diskutiert, die Lehrer- und Musikausbildung in Halle zu konzentrieren. Die Ingenieurausbildung soll nach Magdeburg. In der Landeshauptstadt und dem Norden Sachsen-Anhalts könnten davon - bei Schließung des Standorts Stendal der Hochschule Magdeburg-Stendal - allein 4000 Studierende betroffen sein. Mehr als 1000 Wissenschaftlerstellen seien durch die Sparpläne in ganz Sachsen-Anhalt gefährdet, befürchten die Gewerkschaften.
Ausgangslage ist prekär
Uni-Rektor Professor Klaus Erich Pollmann, verstehe die Sorgen der Studierenden und Mitarbeiter. Die Ausgangslage sei vor einem nicht ausfinanziertem Haushalt 2003 prekär. Dennoch dürfe man sich nicht von den Zielvereinbarungen verabschieden, sei dem Prozess der Hochschulstrukturveränderungen verpflichtet. Das heiße aber nicht, dass allem vorbehaltlos zugestimmt werden müsse, was aus dem Kultusministerium komme. Die Lehrerbildung habe in Magdeburg in den zurückliegenden Jahren viel aufgebaut, vor allem auf berufsbegleitendem Gebiet. Sehr gut habe sich auch das 1994 zur Universität gekommene Institut für Musik entwickelt.
Der manifeste Protest widerspiegle die Angst, dass in der Region gewachsene Strukturen kaputt gemacht würden, unterstrich Prof. Dr. Andreas Geiger, Rektor der Hochschule Magdeburg-Stendal. Wer an der Bildung spare, spare an der Zukunft. Eine hohe Qualifikation sei nicht nur für jeden Einzelnen eine Zukunftsinvestition, sondern entscheide auch über die Zukunftsfähigkeit eines Landes. Da Sachsen-Anhalt für Studierende in den vergangenen Jahren an Attraktivität gewonnen habe, müsse vor dem Hintergrund der wenigen Industrie im Land das Studienangebot eher noch ausgebaut werden.
Unter lauten Buhrufen und Pfiffen wagte sich Kultusminister Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz in die Höhle des Löwen, sprich vor die Demonstranten. Er könne die Sorge in vielen Punkten teilen, noch vor einem Jahr hätte er selbst mit protestiert. Heute aber wisse er mehr, nämlich, dass das Land täglich 2,5 Millionen Euro Zinsen zahlen muss - achteinhalb Tage und das Budget der Hochschule Magdeburg-Stendal ist vollständig aufgebraucht. "Da soll ich zusehen? Das kann ich nicht! Ich habe keine Wahl", ruft er den Demonstranten zu. Als er etwas zu den Geisteswissenschaften an der Universität Magdeburg sagen will, wird ihm rüde von den Organisatoren das Wort entzogen, die Redezeit ist um. Eine nicht sehr kluge Entscheidung, mit der viele Demonstranten nicht einverstanden waren.
Dass sie mit dieser Protestaktion die Verantwortung für künftige Studentengenerationen übernehmen, unterstrich Norman Wishet, Student an der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften. Ginge es doch um Strukturveränderungen die erst 2006 greifen, dann aber eine gewaltige Wirtschaftskraft - rund 4000 Studierende - aus dem nördlichen Sachsen-Anhalt vertreiben würden. Er befürchte, dass die vom Volke gewählten Vertreter mit ihren kurzsichtigen Entscheidungen die Zukunft des Landes verspielten.
Professor Jochen Köhler vom hiesigen Institut für Musik, sehe ein, dass deutlich gespart werden müsse und begrüße eine strukturelle Optimierung der Hochschullandschaft, aber bitte doch nach sachlichen Erwägungen. Bereits heute bestehe ein eklatanter Mangel an gut ausgebildeten Musiklehrern. Wie solle diese Lücke geschlossen werden? Wie solle an nur einem Ausbildungsstandort Praxisnähe gewährleistet werden?
Angehende Musiklehrer und Sänger bieten den Demonstranten immer wieder mit kleinen musikalischen Einlagen des Instituts-Chores ChorIMUS Kostproben ihres Könnens.
Solidarität der Stadt
Thomas Lippmann, GEW-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, erinnert an einen dänischen König, der nach einem verheerenden Krieg und bei leeren Staatskassen dennoch die Bildungsausgaben erhöhte: "Arm und elend sind wir, wenn wir jetzt auch noch dumm sind, können wir aufhören, ein Staat zu sein". Lippmann erkenne nur eine Strategie der Landesregierung: den Abbau von Schulden durch Abbau von Bildung.
Dr. Rüdiger Koch, Beigeordneter der Stadt Magdeburg, erklärt die Solidarität der Landeshauptstadt mit den beiden Bildungseinrichtungen. Diese verstehe sich als Universitäts- und Hochschulstadt. Auch Vertreter von Magdeburger Kultureinrichtungen treten für den Erhalt der Geisteswissenschaften in Magdeburg ein. Ohne sie und ihre Studenten würde das geistige Klima in der Stadt verarmen.
Zum Abschluss der Kundgebung singen Chor und Demonstranten gemeinsam "We shall overcome ...".