22 Sekunden in der Schwerelosigkeit
Wissenschaftler werden zu Astronauten – Experimente in der „Zero G"-Phase
Das Erlebnis der Schwerelosigkeit ist für einige Sekunden auch auf der Erde möglich – in einem Fahrstuhl, wenn sich jemand findet, der die Kabel und Seile abschneidet. Die europäische Weltraumagentur ESA (European Space Agency) geht da ein wenig anders vor. Sie stellt ein Flugzeug für das Training von Astronauten und für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung. Ein für diese Zwecke umgebauter Airbus A300 mit dem Namen „ZERO-G" der Gesellschaft NOVESPACE veranstaltet etwa halbjährlich so genannte Parabelflüge, in denen Wissenschaftler für kurze Zeit zu Astronauten werden. Zu Beginn dieses Semesters nahm ein Team aus Vertretern der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Leitung: Prof. Dr. Stefan C. Müller) und der Technischen Universität Dresden (Leitung: Dr. Kerstin Eckert) an einem solchen Parabelflug teil.
Sie gehörten zu einer von insgesamt zwölf Gruppen aus vielen europäischen Ländern, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Fragestellungen nachgingen. Dabei wurden an drei Tagen insgesamt 30-mal Parabelflüge durchgeführt, das heißt nach einer Anstiegsphase mit doppelter Schwerkraft folgt eine schubfreie Phase mit praktisch völliger Schwerelosigkeit für etwa 22 Sekunden, bevor zu einer kontrollierten Landung angesetzt wird. Das Ganze in einer Höhe von sechs bis neun Kilometern über dem Atlantik bei Bordeaux.
Das Team aus Magdeburg/Dresden schickte Dr. Osamu Inomoto und Christian Cierpka als Experimentatoren auf die Parabelbahn. Ihr Projekt beschäftigte sich mit dem Verhalten hydrodynamischer Flüsse an einer Grenzfläche zwischen Wasser und Öl, an der eine bestimmte chemische Reaktion stattfindet. Unter Schwerelosigkeit kann man besser beurteilen, ob die Strukturen, die sich durch diese Flüsse bilden, von den Auftriebskräften im Schwerefeld erzeugt werden oder von Kräften, die auch unabhängig davon an einer solchen Grenzfläche wirken. Solche Fragestellungen sind von großer Bedeutung für verfahrenstechnische Prozesse, beispielsweise bei der Extraktion von Öl aus unterirdischen Lagerstätten.
Bei diesen Flügen kam es vorerst darauf an, die technischen Aspekte der Durchführung solcher Versuche zu optimieren. Gebaut wird das Experiment übrigens von der Ferrari-Tochter DTM Technologis in Modena. Es gab alle Hände voll zu tun, um zum Teil auch unerwarteten Erscheinungen zu begegnen. Das Verhalten kleinster Luftbläschen in diesem Experiment war unvorhersagbar und vollkommen anders als unter normalen Bedingungen auf der Erde. Ebenso wurden durch das Fehlen der Schwerkraft gewisse Turbulenzen erzeugt, die man mittels gut kontrollierter Experimentierkunst in Zukunft wird vermeiden müssen. Nur wenig Zeit blieb in den Sekunden der Schwerelosigkeit – der so genannten 0g-Phase – durch den Raum zu schweben und dabei vielleicht erfolgreich eine Computermaus einzufangen, die sich selbständig gemacht hatte, oder ein wenig an der Decke entlang zu spazieren.
Die bei dieser Mission erzielten Ergebnisse und Erfahrungen werden dazu dienen, ein Raketenexperiment im November 2004 vorzubereiten, das von dem Abschussgebiet der ESA bei Kiruna in Nordschweden aus im Rahmen der MASER10-Mission der europäischen Weltraumagentur gestartet werden soll.
Einmal Astronaut – Dr. Osamu Inomoto. Photo: privat