Bedrohung für Bildungsstandort

02.12.2003 -  

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Demonstriert gegen die massiven Kürzungspläne der Landesregierung und die geplante Umstrukturierung im Hochschulbereich haben rund 3000 Studierende, Mitarbeiter und Professoren der Hochschulen und Universitäten Sachsen-Anhalts Mitte November 2003 vor dem Landtag. Dem Parlament wurde an diesem Tag ein neues Hochschulgesetz und ein Hochschulstrukturgesetz zur Diskussion in den Ausschüssen vorgelegt. Zeitgleich gab es in Halle eine Protestkundgebung.

Kultusminister brachte Gesetzentwurf zur Änderung der Hochschulstruktur in Landtag ein

Die Gazetten des Landes berichteten, dass es die bisher größten Studentenproteste in der Geschichte Sachsen-Anhalts gewesen seien, die Mitte November 2003 tausende junger Leute zeitgleich in Magdeburg und Halle auf die Straßen führten. Sie protestierten gemeinsam mit Mitarbeitern und Professoren gegen die geplante Stukturreform der Hochschullandschaft und die damit verbundenen Finanzkürzungen. Mit Transparenten, Trillerpfeifen und Trommeln verliehen sie ihrem Anliegen, sich den Einschnitten an Universitäten und Hochschulen, die das neue Hochschulgesetz, das vom Kultusminister in den Landtag eingebracht wurde, zur Folge haben werden, entgegenzustellen.

Studierende demonstrierten

Aufgerufen zur Demonstration auf dem Magdeburger Domplatz hatte der Studentenrat der Otto-von-Guericke-Universität. Dazu sagte der Sprecher Dave Gööck: "Die Kürzungen der Landesregierung im Bereich der Hochschulen stellen eine ernsthafte Bedrohung für den Bildungsstandort Sachsen-Anhalt dar. Haushaltskonsolidierung darf nicht auf dem Rücken der Studentinnen und Studenten betrieben werden, zumal Bildung eine der wichtigsten Ressourcen des Landes ist."

Rektor Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann teilte die Sorgen der Studierenden um ihren Studienplatz von Morgen. Sie seien auch die Sorgen der Mitarbeiter und Professoren der Universität. Das Land brauche Verjüngung, brauche junge Leute. Er verwies darauf, dass über 50 % der Studierenden aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland kämen. Welcher andere Bereich in Sachsen-Anhalt könne so einen Zuwachs für sich beanspruchen, fragte der Rektor. Der Kultusminister sei angetreten, das modernste Hochschulgesetz in Deutschland einzubringen. Daran werde er sich messen lassen müssen. Derzeit arbeiteten die Hochschulen mit Hochdruck an Konzepten, die Kürzungen ohne "Flurschaden" umzusetzen. Der Minister habe zugesagt, die Alternativvorschläge gründlich zu prüfen.

Diese Zusage wiederholte Kultusminister Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz als er zu den Demonstranten sprach und lud sie ein, am Diskussionsprozess zur Neugestaltung der Hochschulstrukturen teilzunehmen. Wenn die Vorschläge moderne Strukturen erbrächten, sei er offen dafür.

Zuvor jedoch hatten ihm Studierende des Studienganges Heilpädagogik an der Hochschule Magdeburg-Stendal eine Schluckimpfung verpasst, um ihn gegen das SparWutVirus zu immunisieren.

Minister Olbertz nannte zwei Gründe für den bevorstehenden Umstrukturierungsprozess. Zum einen sei es der Anspruch auf Zukunftssicherung. Qualität und Wirtschaftlichkeit müssten miteinander verbunden werden. Dafür seien Rahmenbedingungen zu schaffen. Zum zweiten zwinge die finanzielle Situation zu Veränderungen. Beides hänge zusammen. Unsere Generation müsse den Schuldenberg abbauen. "Ansonsten haben Sie keine Zukunft mehr", rief er den Demonstranten zu. "Wir wollen nicht wild und anarchisch sparen, sondern intelligent unter Aufdeckung der Reserven des Systems."

Ein Studentenvertreter der Fachhochschule Anhalt meinte, er akzeptiere, dass der jungen Generation die Schuldenlast genommen werden müsse. Traute es aber den derzeitigen Politikern nicht zu. Wer aber solle dann später die Schulden bezahlen, wenn die heutige Generation keine vernünftige Ausbildung habe?

Seine Sympathie mit den Studierenden bekundete der Magdeburger Schwergewichtsboxer René Monse auf der Demonstration. Auch Studierende nutzen die Sportstätten und tragen zum Leben in der Stadt bei.

Magdeburgs Oberbürgermeister Dr. Lutz Trümper hatte am Vortag der Demonstration die Landesregierung aufgefordert, von der geplanten Verlagerung der Lehrerausbildung und der akademischen Musikausbildung von Magdeburg nach Halle Abstand zu nehmen. "Damit würde das Land dem Hochschul- und Wissenschaftsstandort Magdeburg einen großen Imageschaden zufügen. Die Universität und die Hochschule Magdeburg-Stendal haben sich in den vergangenen Jahren national und international profiliert und an Ansehen gewonnen. Mit den assoziierten Instituten entstand eine beachtliche Forschungs- und Wissenschaftsinfrastruktur in der Landeshauptstadt."

Wider die Sparpolitik

Die Pläne des Landes zur Verlagerung von Studienangeboten aus Magdeburg wurde ebenfalls vom Stadtrat kritisiert. Die Stadträte beauftragten den Oberbürgermeister, im Gesetzgebungsverfahren des Landes zur Hochschulstrukturreform darauf hinzuwirken, dass die Lehrerausbildung und die akademische Musikausbildung in Magdeburg bleiben.

Anja Worm von Studierendenrat der Universität Halle-Wittenberg mahnte, dass die Proteste nicht zu lokalpatriotisch werden dürften. Die Kürzungen stünden im ganzen Land an. Sie rief deshalb auf, sich immer wieder der Kürzungs- und Sparpolitik der Landesregierung entgegenzustellen und für ein gebührenfreies und individuelles Studium einzutreten.

Die Vorsitzende des Personalrates der Otto-von-Guericke-Universität, Sabine Schmolke, warnte eindringlich vor der Zerstörung der Hochschullandschaft, die im zurückliegenden Jahrzehnt aufgebaut worden sei.

Als die Transparente auf dem Domplatz lange schon zusammengerollt waren und die Demonstranten wieder in Hörsälen und Laboren saßen brachte Kultusminister Olbertz den "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Hochschulstruktur und zur Neufassung des Hochschulgesetzes" in den Landtag ein. Der vorgelegte Gesetzentwurf solle zur Modernisierung der Hochschulen und Steigerung der Effizienz ihrer Strukturen führen. Dabei wolle er die Hochschulen als kompetente Partner in die Hochschulstrukturplanung einbeziehen. Neben Hochschulstrukturgesetz und Landeshochschulgesetz gehöre noch ein 3. Element, die Hochschulmedizin, zum Gesetzeswerk. Dieser Bereich ist gegenwärtig jedoch noch ausgeklammert und wird gesondert betrachtet.

Der Minister erläuterte, für die Hochschulen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen können. Instrumente seien u.a. die Straffung der Leitungsstrukturen, die Möglichkeit für die Hochschulen, wirtschaftlich tätig zu werden und Gebühren zu erheben, der Übergang zu gestuften Studienabschlüssen. Die Hochschulen würden dadurch "viel stärker als bisher zu Subjekten mit eigener Stimme und eigener Verantwortung".

Dr. Gerlinde Kuppe (SPD) kritisierte, dass völlig im Dunkel bleibe, wie durch dieses Gesetz Wissenschaft, Forschung und Innovation nachhaltig gestärkt werden könne. Vorgelegt worden sei eine Flut von Regelungen. Aus vielen Paragraphen spreche das Misstrauen des Staates gegenüber den Hochschulen.

Als ersten Schritt hin zu Studiengebühren bewerte Dr. Petra Sitte (PDS) die vorgesehenen Gebühren für Langzeitstudierende. In den vergangenen Jahren seien dreistellige Millionenbeträge in die Entwicklung der Hochschullandschaft investiert worden. Nun, da die Zeit gekommen, die ersten Erträge einzufahren, mache die Landesregierung mit Verlagerungs- Schließungs- und Neuordnungsentscheidungen die so wichtige Ernte des einst Gesäten zunichte.

Norbert Volk (FDP) unterstützte den Kurs der Landesregierung. Von Anfang an sei klar gewesen, dass an Reformen kein Weg vorbeiführe. Das Ziel sei ein modernes Hochschulgesetz, das die Erfordernisse der Hochschulen brücksichtige, den Wissenschaftsstandort Sachsen-Anhalt festige und die Qualifikation des Akademikernachwuchses im Land ermögliche.

Die Notwendigkeit der Strukturveränderungen unterstrich auch Marco Tullner (CDU). Das Gesetz solle zur Entbürokratisierung beitragen. Diesbezüglich müsse der vorliegende Entwurf an einigen Stellen noch einmal überarbeitet werden, forderte er.

Der Gesetzentwurf wurde zur weiteren Diskussion und Anhörung an den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft überwiesen.

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