Substanz im Nervenwasser
Auch Nervenzellen bei Multiple-Sklerose-Patienten geschädigt
Lange hielt man die chronisch entzündliche Zerstörung so genannter Markscheiden, Hüllen der Nervenfortsätze im Zentralnervensystem, für das Wesentliche der Multiplen Sklerose. Seit einigen Jahren (1998) weiß man aber, dass außer den Markscheiden auch die Nervenzellen selbst zerstört werden und diese Schädigung weitaus bedeutsamer ist. Unklar bleibt aber, ob es einen Zusamenhang zwischen den Läsionen der Markscheiden und dem Untergang der Hirnnervenzellen gibt. Ein fehlendes Bindeglied in der Kette der Schädigung wurde durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich vom Institut für Immunologie am Universitätsklinikum Magdeburg mit Prof. Dr. Frauke Zipp vom Institut für Neuroimmunologie und Prof. Dr. Robert Nitsch vom Institut für Zell- und Neurobiologie der Charité gefunden. Im Dezember 2003 veröffentlichten sie die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten im renommierten Journal of Experimental Medicine (Diestel, Aktas et al., 198 [2003] 1729-1740).
Angestoßen wird der Krankheitsprozess durch ein bisher noch unbekanntes Agens (eventuell durch Viren oder Bakterien). In der Folge wandern Immunzellen (T-Zellen) in Gehirn und Rückenmark. Dort greifen sie die Markscheiden, insbesondere ein darin enthaltenes Eiweiß, das Myelin, an und sorgen so für die punktuellen Zerstörungen der Markscheiden mit nachfolgenden, vielfältigen Narben (multiplen Sklerosen). Dadurch wird die Übertragung von Nervenerregungen auf Muskeln wesentlich gestört. Bei Patienten prägt sich das als Lähmung aus.
7-KetoCholesterol
Bei der Zerstörung der Markscheiden, insbesondere des Myelins, durch die T-Zellen, entstehen Abbauprodukte, u.a. das 7-KetoCholesterol. Diese Substanz konnte in hohen Konzentrationen im Nervenwasser (Liquor) der Patienten mit Multipler Sklerose nachgewiesen werden, nicht jedoch bei Gehirnerkrankungen nicht-entzündlicher Art. Im Tiermodell der Multiplen Sklerose ist das Krankheitsbild um so ausgeprägter, je mehr 7-KetoCholesterol nachgewiesen werden kann.
Während der Entmarkungsvorgänge werden besondere Fresszellen im Gehirn, die Mikrogliazellen, aus ihrem Ruhezustand gewissermaßen erweckt. Das 7-KetoCholesterol dringt nämlich in den Kern der ruhenden Mikrogliazellen vor und aktiviert dort das Molekül PARP-1. Durch diesen Mechanismus werden die Fresszellen befähigt, sich im Gehirn zu verbreiten und Nervenzellen zu zerstören.
Für die praktische Medizin sehen die Forscher zwei Folgerungen aus ihren Erkenntnissen: Die Konzentration des 7-KetoCholesterols im Nervenwasser ließe sich als Marker für der Schwere der Multiplen Sklerose nutzen und durch Hemmung oder Blockierung von PARP-1 könnte der Untergang der Nervenzellen vemindert oder gar verhindert werden.