Hochschulstrukturdebatte und Sparmaßnahmen: Wohin führt der Weg?
Im Gespräch mit dem Rektor der Universität Magdeburg, Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann, und dem Präsidenten der TU Braunschweig, Prof. Dr. Jochen Litterst
Zurzeit sind die Universität Magdeburg und die TU Braunschweig von massiven Sparmaßnahmen und Strukturänderungen betroffen. Anlass für die Redaktion der alljährlich im März erscheinenden gemeinsamen Ausgabe der Hochschulzeitungen beider Universitäten nachzufragen. Das Interview gibt einen Einblick in die Situation.
Bedingt durch die Sparmaßnahmen wird derzeit in Deutschland heftigst über Hochschulstrukturen debattiert. So auch in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen. Dabei gehen die Bundesländer unterschiedliche Wege. Während in Sachsen-Anhalt Hochschulstrukturen in einem Gesetz festgeschrieben werden sollen, werden in Niedersachsen im Hochschuloptimierungskonzept zwar erhebliche Sparauflagen festgelegt, aber den Hochschulen weitestgehend die Autonomie über die Strukturmaßnahmen übertragen. Welche Instrumente halten Sie für geeignet?
Prof. Pollmann: Zunächst einmal muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Einnahmesituation in Sachsen-Anhalt weit unter der Erwartung geblieben ist, als man sich das damals bei der Errichtung der Hochschulen vorgestellt hat. Hinzu kommen demografische Entwicklungen, die in diesem Maße auch niemand vorausgesehen hat. Insofern denke ich, wird man wenig dagegen sagen können, dass die Zahl der Studienplätze in Sachsen-Anhalt ein Stück weit heruntergeführt wird. Auf der anderen Seite muss man sich aber fragen, was ist denn die Zukunft Sachsen-Anhalts, wenn nicht seine Forschungspotenziale und seine Hochschulen? Das muss die Grundlage für die Antwort auf all diese Fragen sein, das heißt, wenn es finanzielle Kürzungen gibt, sind die nicht anders aufzufangen als durch Strukturmaßnahmen an den Hochschulen. Jedermann weiß aber, dass diese nicht von heute auf morgen umsetzbar sind, sondern nur in langen Zeiträumen. Deshalb müssen die Regierungen den Hochschulen einen längeren Zeitraum für die Umsetzung dieser Maßnahmen einräumen.
Prof. Litterst: Dass uns durch das Gesetz, das Ende 2002 eingeführt worden ist, mehr Autonomie zugestanden wird, ist sehr zu begrüßen. Allerdings hat sich in der Praxis gerade gezeigt, dass die Autonomie ihre Grenzen hat. Ganz aktuell wird uns die Schließung einiger kleiner Teilstudiengänge, nachdem sie von der Hochschule beschlossen worden ist, verwehrt. Dabei handelt es sich um Abstimmungsschwierigkeiten. Anders als in Sachsen-Anhalt sind wir im Bereich der Lehrerbildung an zwei Ministerien gebunden.
Zusammenfassend fehlt Planungssicherheit von Seiten des Landes, dazu kommt, dass es keine Landesstrukturplanung gibt. Eine zielgerichtete Koordination im Land ist so nur sehr schwer möglich.
Die letzten Sommer angestoßenen Intentionen zur Stärkung der Stärken und damit zur stärkeren Profilbildung versanden zunehmend, da aus rein strukturpolitischen Gründen einige Standorte im Land nicht geschlossen werden können.
Die Hochschulstrukturdebatte sehen Kultus- oder Wissenschaftsminister ja gern auch als Reformprozess für die Hochschulen. Herauskommen sollen mehr Wettbewerbsfähigkeit, schlankere Strukturen, modernere Ausbildungswege, Reduzierung von Doppelangeboten – eben Klasse statt Masse. Wie sehen die Strukturplanungen der Otto-von-Guericke-Universität und der TU Braunschweig aus?
Prof. Pollmann: Sie folgt zunächst mal den Auflagen – das ist ein Unterschied zu Niedersachsen –, die mit dem Hochschulstrukturplan der Landesregierung gesetzt sind. Danach sollen wir uns vom Institut für Musik und von großen Teilen der Lehrerbildung trennen. Wir haben in Sachsen-Anhalt zwei Musikinstitute, die auch beide Elemente der künstlerischen Ausbildung umfassen. Sie sollen an einer Stelle konzentriert werden, was an sich keine unvernünftige Idee ist. Wenn man unvoreingenommen an die Standortfrage herangehen würde, müsste man zur Kenntnis nehmen, dass Halle 35 Kilometer von Leipzig entfernt ist und Leipzig eine hervorragend ausgestattete große Musikhochschule hat. Nun soll die Musikausbildung in Halle konzentriert werden, aber da möchte ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen. Die Hochschule hat wenig Alternativen, um darauf zu reagieren. Die andere Frage ist das Lehramt an Gymnasien und Sekundarschulen, das in Magdeburg nicht mehr länger angeboten werden soll. Aus Landessicht ist diese Auflage erheblich in Frage zu stellen. Aus Sicht der Universität müssen wir darauf bestehen, dass wir Übergangszeiträume erhalten, die es ermöglichen, die Fakultät schrittweise auf ein neues Profil umzustellen. Das ist im Moment der Stand, der sicher noch nicht abschließend entschieden ist.
Das eigentliche Problem aber sind nicht diese Strukturauflagen, sondern ist die Kürzungsauflage von zehn Prozent unseres bisherigen Etats, die zum 1. Januar 2006 wirksam werden soll. Nun zeigt sich, was vorher niemand so erwartet hatte, dass die Hauptlast der Kürzungen in den Profilbereichen, also in den Ingenieurfakultäten, angesetzt wird, begründet mit der geringeren Auslastung in diesen Fakultäten, und das macht uns wenig Hoffnung.
Prof. Litterst: An der TU greifen die Kürzungsmaßnahmen bereits seit dem 1. Januar dieses Jahres, und zwar mit etwa sieben Prozent des Landesstellenanteils, die sehr unterschiedlich auf die einzelnen Fächer gewichtet sind.
Da diese Kürzungen so kurzfristig nicht planerisch vollzogen werden können, greifen sie per Zufall. Am stärksten betroffen sind naheliegenderweise diejenigen Stellengruppen, bei denen die Stellenfluktuation am größten ist, dazu gehört insbesondere der wissenschaftliche Mittelbau.
Da an einer TU die meisten Stellen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich angesiedelt sind, werden die anerkannten Stärken unserer Universität dramatisch geschwächt und dies ab sofort. Hinzu kommt seit Beginn des Jahres eine zusätzliche Schwächung durch eine Stellensperre, die das Einsparvolumen noch einmal verdoppelt. Wir hoffen, dass diese Belastung umgehend von uns genommen wird, sonst ist im Sommersemester ein ordnungsgemäßer Studienbetrieb nicht gesichert.
Bei unseren Strukturplanungen werden wir bestimmte Bereiche, in denen sich die TU besonders profiliert, stärker nach außen hin sichtbar machen. Wir werden beispielsweise unsere Fachbereiche Chemie, Pharmazie, Biologie und Psychologie in einen neuen Fachbereich Lebenswissenschaften zusammenfassen. Aber auch der in Braunschweig renommierte Bereich der Verkehrstechnik sowie Bereiche anderer Ingenieurwissenschaften werden zur Profilbildung stärker zusammenarbeiten.
Allerdings haben wir ähnliche Schwierigkeiten wie in Magdeburg. Uns wurde ebenfalls angeraten, bestimmte Bereiche in den lehrerbildenden Fächern zurückzufahren. Dies wird erst in einigen Jahren möglich sein, da wir derzeit in diesen Fächern noch eine Überlast zu bewältigen haben. Wir werden, wie vom heutigen Zeitpunkt aus zu beurteilen ist, nur einige Teilstudiengänge im geistes-, erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Bereich schließen. Die Studiengänge in anderen Bereichen sind im Augenblick nicht gefährdet.
Wir antworten natürlich auf die Erfordernisse der Modernisierung. Wir versuchen, neu gestaltete Studiengänge einzuführen, die dann europäisch kompatibel sind, und zwar die Bachelor- und Master-Programme. In der Lehrerausbildung läuft dazu an der TU ein Modellversuch. Auch in den Naturwissenschaften sind wir in den meisten Fächern so weit, dass wir BSc- und MSc-Abschlüsse einführen. In den Ingenieurwissenschaften wird sich das erst in den nächsten Jahren klären. Es ist dort wichtig, dass die Standards europaweit abgestimmt sind. Wir sind an die Bologna-Beschlüsse gebunden. Spätestens bis 2011 werden wir alle Studiengänge überführt haben.
Prof. Pollmann: Dieser Prozess läuft ja an nahezu allen Universitäten gleichzeitig. Wir sehen eigentlich unseren Ehrgeiz nicht darin, als eine der ersten Universitäten flächendeckend ein System von Bachelor- und Master-Studiengängen eingeführt zu haben. Hier stellen sich eine Reihe von sehr grundlegenden Fragen, auf die im Moment noch kaum jemand eine Antwort weiß und insofern werden wir das zügig, aber auch sehr gründlich machen.
Prof. Litterst: Ich habe eine leicht andere Sichtweise. Wir sollten nicht in allen, aber in einigen Bereichen, das gilt auch in den Ingenieurbereichen, wirklich von Anfang an mit in die Diskussion involviert sein, um hier maßgeblich bei der Gestaltung mitwirken zu können. Es wäre verhängnisvoll, wenn wir abwarten bis die Bachelor- und Master-Profile von anderen Hochschulen vorgegeben werden. Wir müssen die Weichen mitstellen.
Die "Reformen" gehen einher – besser haben ihre Ursache – in massiven Kürzungen der Finanzmittel für die Hochschulen. Was bedeuten diese Finanzkürzungen – die sachsen-anhaltischen Hochschulen müssen bis 2006 eine Einsparung von 30 Millionen Euro realisieren, an niedersächsischen Hochschulen sind es über 40 Millionen Euro – für die Universitäten?
Prof. Pollmann: Ich will mich jetzt gar nicht auf Zahlenspielereien im Einzelnen einlassen. Das müsste ja immer in Beziehung zu dem Gesamtetat gesetzt werden. Das Problem, das die Otto-von-Guericke-Universität zusätzlich hat, ist dies, dass ihr Aufbau nicht abgeschlossen ist, sodass wir gegenüber den ursprünglichen Planungen ein Minus von 22 bis 23 Prozent haben. Das ist gewaltig. Darauf werden wir überhaupt nur reagieren können ohne Einbrüche in die Leistungsfähigkeit der Universität zu erleben, wenn wir wirklich klare und reduzierte Strukturen einführen und wenn wir gegenüber der Landesregierung durchsetzen können, dass die Fördermittel, die das Land hat, ganz gezielt in die Schwerpunkte der Universität einfließen. Die Vergabe der Fördermittel muss strategisch mit den Hochschulleitungen abgestimmt werden.
Prof. Litterst: Zunächst erst einmal gilt Ähnliches für Braunschweig. Es ist leider so, dass durch die bereits verhängten und jetzt greifenden Kürzungen auch starke Kernbereiche beschädigt werden. Ich habe die größte Sorge, dass dadurch die Drittmitteleinwerbungsfähigkeit vermindert wird und solche Bereiche, die bislang in der Lage waren, international anerkannte Sonderforschungsbereiche zu tragen, aufgrund der mangelnden Grundversorgung durch die Landesfinanzierung an den Rand gedrängt werden, dieses noch leisten zu können.
Hinsichtlich der Baumaßnahmen haben wir große Sorge. Alle Baumaßnahmen innerhalb der Universität sind bereits im letzten Jahr eingestellt worden. Das heißt, wir schieben einen Berg von nicht mehr zu bewältigenden Sanierungsmaßnahmen vor uns her, der auf eine Größenordnung von 200 Millionen Euro angewachsen ist.
Gerade anstehende Neuberufungen sind unter den gegenwärtigen Umständen kaum noch möglich. Wir sind nicht mehr in der Lage, eine ordnungsgemäße Ausstattung, wie moderne Labors und eine adäquate Personalausstattung, bei neu eingerichteten Professuren zu ermöglichen. Wir sind in der Berufungspolitik fast vollkommen blockiert.
Das größte Einsparpotenzial liegt in den Personalkosten. Bereits jetzt wird in Sachsen-Anhalt aufgrund eines veränderten Tarifvertrages verkürzt gearbeitet – Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich. An der TU fallen Stellen auch in Bereichen, die eine Überlast aufweisen, weg. Die Studierendenzahlen aber steigen immer weiter an. Müssen die Hochschulen die Zahl der Studierenden aufgrund geringerer Kapazitäten begrenzen, um weiterhin akzeptable Betreuungsquoten zu gewährleisten?
Prof. Pollmann: Ganz unvermeidlich, wie sollen wir das sonst machen. Als eine Universität in den neuen Ländern müssen wir besonderen Wert darauf legen, dass unsere Studienverhältnisse optimal sind. Das ist in den ersten Jahren zum Teil auch auf das bessere Betreuungsverhältnis, das an den Universitäten der neuen Länder existierte, zurückzuführen. Wenn wir jetzt eben auch in Massenausbildungsverhältnisse hineinlaufen, werden wir große Probleme bekommen, und das kann nicht sein. In Zukunft werden wir auch daran gemessen, wie unsere Absolventenquote ist und das ist Bestandteil unserer Budgetbemessung. Also müssen wir großen Wert darauf legen, in der Ausbildung keine Qualitätseinbrüche zu erleben. Das geht nur mit einer Beschränkung der Studierendenzahl.
Prof. Litterst: Das gilt bei uns gleichermaßen. Ich denke da insbesondere an die Ergebnisse der Evaluationsverfahren der vergangenen Jahre, die eindeutig gezeigt haben, dass wir verstärkt auf die Betreuungsqualität achten sollten, insbesondere im Hinblick auf die neu zu errichtenden Bachelor- und Master-Studiengänge, die betreuungsintensiver sind. Es ist auch unsere Verpflichtung, denn bei der internationalen Konkurrenz werden in der Tat bessere Betreuungsverhältnisse erbracht als derzeit in Deutschland.
Auswahl der Studierenden durch die Universitäten
Sollte im Gegenzug die Vergabe von Studienplätzen dann Sache der Hochschulen sein, das heißt, sollten die Hochschulen ihre Studierenden selbst aussuchen können?
Prof. Pollmann: Ja, das wird der Weg in der Zukunft sein. Die Hochschulen sind längst dazu bereit. Allerdings müssen sie dann auch ein wirkliches Entscheidungsrecht bei der Auswahl der Studierenden haben und nicht an Parameter gebunden werden, die dann doch eine Auswahl nicht ermöglichen, die dazu führen, dass abgewiesene Studenten mit einer unmöglichen Abiturnote doch wieder einen Studienplatz erhalten. Hier muss das jetzige Hochschulzulassungssystem grundsätzlich reformiert werden.
Prof. Litterst: In Niedersachsen ist zurzeit ein Gesetz in Vorbereitung, das den Hochschulen eine weitgehende Auswahl der Studierenden erlauben wird. Allerdings sehe ich momentan noch Schwierigkeiten, wie man solche Auswahlverfahren auch "verwaltungsgerichtsfest" machen kann.
Ich persönlich begrüße es außerordentlich, wenn es diese Freiheit geben wird. Auch beim internationalen Zugang ist es jetzt bereits so, dass wir Einzelfallentscheidungen treffen müssen. Ähnliches gilt auch für die Bewertung von deutschen Studieninteressenten. Die Abiturresultate sind momentan nicht mehr ohne weiteres vergleichbar.
Der Entwurf einer Novelle des Landeshochschulgesetzes Sachsen-Anhalt eröffnet für die Universität Möglichkeiten zu Einnahmen, zu wirtschaftlich-unternehmerischem Handeln – die Finanzierungschance der Otto-von-Guericke-Universität für die Zukunft?
Prof. Pollmann: Zunächst einmal ist es eine schönklingende Formel, die in der Tat im Gesetz stehen wird. Inwieweit sie mit dem geltenden Haushaltsrecht vereinbar ist, wird sich zeigen. Hier muss man sehr skeptisch sein, dennoch ist das im Grundsatz zu begrüßen und auch unvermeidlich für die Zukunft. Konkret wird das zunächst nicht sehr viel mehr bedeuten, als dass die Universität in die Lage versetzt wird, für Weiterbildungsstudiengänge, also zum Beispiel auch für Masterstudiengänge, die berufsbegleitend studiert werden, kostendeckend Einnahmen zu machen. Das wird nicht sozusagen das Allheilmittel für unsere Finanzierung sein, aber ein erster Schritt, der dann auch zu Konsequenzen in der Weise führen wird, dass man über die Studienbedingungen noch einmal sprechen muss, denn die Studierenden, die Geld bezahlen müssen, werden eine ganz andere Erwartungshaltung haben. Mein Wunsch ist, dass darüber hinaus die Möglichkeit eröffnet wird, für spezielle Studienangebote im internationalen Bereich bei Nicht-EU-Bürgern auch Studiengebühren erheben zu dürfen. Das habe ich bisher nicht durchsetzen können.
Wie sehen die dreijährigen Erfahrungen der TU mit dem Globalhaushalt aus? Hat sich die Hoffnung der größeren wirtschaftlichen Autonomie erfüllt?
Prof. Litterst: Die Umstellung auf den Globalhaushalt und kaufmännisches Rechnen innerhalb der Hochschule hat größere Schwierigkeiten verursacht als zunächst von der Landesregierung prognostiziert worden sind. Es liegt zum einen daran, dass kaufmännische und kameralistische Denkweisen aufeinander stoßen. Es ist ein Widerspruch in sich, dass Hochschulen kaufmännisch agieren sollen, während übergeordnet, wie in Ministerien, kameralistisch gearbeitet wird.
Wir hatten uns erhofft, dass durch die Umstellung eine größere Effektivität erreicht wird, zu spüren ist dies zurzeit noch nicht. Zum Beispiel bestehen Inkompatibilitäten in den elektronischen Datenverarbeitungssystemen, die nach wie vor nicht gelöst sind. Unterm Strich, wir haben derzeit einen größeren finanziellen, insbesondere personellen Aufwand.
Der Globalhaushalt an sich hat uns einige Möglichkeiten eröffnet, die zuvor nicht so einfach waren, beispielsweise der Restmittelübertrag am Jahresende. Aber im Großen und Ganzen sehe ich noch keinen großen Profit aus dieser Umstellung.
Studiengebühren - ja oder nein?
Dann wären da ja noch die Studiengebühren. Für Langzeitstudenten sollen sie demnächst in Sachsen-Anhalt eingeführt werden. Finanzierungsquelle für marode Universitätshaushalte?
Prof. Pollmann: Also, das ist eine nicht ganz leicht verständliche Maßnahme, weil wir im Bundesdurchschnitt in Bezug auf die Zahl der Langzeitstudierenden wirklich sehr, sehr günstig dastehen, das heißt, es wird zu einer Bereinigung der Statistik führen, es wird unserer Verwaltung erhebliche Prüfungsauflagen erteilen, weil jeder Einzelfall geprüft werden muss, und das finanzielle Ergebnis ist völlig irrelevant. Und es diskreditiert, und das finde ich sehr bedauerlich in diesem Zusammenhang, es diskreditiert das Thema der Studiengebühren, wo doch inzwischen jeder überzeugt ist, dass die Einführung der Studiengebühren gar nicht zu verhindern und in etwa fünf, sechs Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
In Braunschweig gibt es die Langzeitgebühren bereits seit dem Sommersemester 2003, ohne dass die Hochschule davon profitiert. Bedeutet dies den Einstieg in generelle Studiengebühren und wie bewerten Sie dies?
Prof. Litterst: Ich prophezeie, dass Studiengebühren noch früher eingeführt werden, und zwar innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Die Langzeitstudiengebühren waren uns im letzten Jahr zur Verbesserung der Studienbedingungen zugesprochen worden, sie wurden dann allerdings zur Abdeckung des Landesdefizites im letzten Jahr einbehalten. In diesem Jahr kommen sie der TU zugute. Wir werden die Mittel zur Verbesserung der Betreuung einsetzen, besonders in den Bereichen, in denen wir zurzeit eine Überlast haben, wie in der Lehrerausbildung, aber auch im Bereich Schlüsselqualifikationen. Der Verwaltungsaufwand ist beachtlich, da sämtliche Klageverfahren, die sich daraus ergeben, durch die Hochschule abzuwickeln sind.
Ich vermute, dass sich die Frage der Langzeitgebühren relativ rasch erledigt, wenn generelle Studiengebühren eingeführt werden. Wir sehen insbesondere Schwierigkeiten bei Einzelfallentscheidungen. In vielen Fällen ist es nicht zu rechtfertigen, Studiengebühren zu erheben, wenn man nicht die persönlichen Lebensbedingungen mit in Betracht zieht. Dies gilt auch für viele ausländische Studierende, die unverschuldet in Not geraten, weil zum Beispiel in ihren Heimatländer neue wirtschaftliche Probleme auftreten.
Vor der Einführung von Studiengebühren müssen wir eine neue Stipendienkultur etablieren, wie sie anderenorts in der Tat existiert. Vor 20 bis 30 Jahren war die Stipendiendichte bereits höher als heute. Wir müssen darauf achten, dass in neue Stipendien nicht nur soziale, sondern auch Leistungsaspekte miteinfließen. Dabei sollte es möglich sein, Gebühren nach Einbringen bestimmter Studienleistungen zu erlassen.
Die Otto-von-Guericke-Universität soll sich wieder auf die technischen Fächer konzentrieren, die TU ihr Profil schärfen, das heißt die technisch-naturwissenschaftlichen Bereiche stärken. Was würde der Wegfall der geisteswissenschaftlichen Fächer für die beiden Hochschulen bedeuten?
Prof. Pollmann: Ich würde gar nicht den Gedanken der Reduzierung der Geistes- und Sozialwissenschaften so in den Vordergrund rücken, sondern zwei Dinge dazu sagen: Auch Universitäten mit einem technisch-naturwissenschaftlichen Profil können auf Geistes- und Sozialwissenschaften mit eigenständigen Studiengängen nicht verzichten. Die zweite Aussage ist die, dass Geistes- und Sozialwissenschaften an technisch orientierten Universitäten anders sein können, ja sein müssen, als an klassischen Universitäten. Das heißt, sie müssen einen sinnvollen Bezug haben zu dem Gesamtprofil der Universität, sie müssen offen sein für interdisziplinäre Aktivitäten in Forschung und Lehre. Wir werden unsere Geistes- und Sozialwissenschaften ganz zentral um den Schwerpunkt der berufsqualifizierenden Bildung neu ausrichten. Das ist der entscheidende Punkt. Da man begrenztere Ressourcen zur Verfügung hat, ist dabei nicht auszuschließen, dass auch die Zahl der Fächer reduziert wird. Das werden wir aber erst sehen, wenn das Profil der Geistes- und Sozialwissenschaften neu definiert ist. Neue Studiengänge werden in den nächsten zwei Jahren konzipiert werden. Der gesamte Umstellungsprozess wird sehr viel länger dauern, weil wir unser Personal sowohl bei Professoren wie bei den Inhabern von Dauerstellen in den Wissenschaftsbereichen in kurzen Zeiträumen nicht verändern können.
Prof. Litterst: Mutatis mutandis bei uns genauso. Wir werden die Anpassung auf die neuen BA- und MA-Studiengänge zügig vorantreiben, gerade im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich ist dies bereits geschehen. Insofern gehe ich davon aus, dass dieser Umstellungsprozess Ende des nächsten Jahres bereits abgeschlossen sein wird.
Wir können es uns als eine Technische Universität heute nicht leisten, auf Geistes- und Sozialwissenschaften zu verzichten. Die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche und die Sozialwissenschaften arbeiten seit vielen Jahren sehr gut fachübergreifend zusammen. Dies ist ein typisches Bild an einer Technischen Universität: Die Sozialwissenschaften können für sich alleine nicht den Standpunkt vertreten, wie an einer klassischen Universität.
Bei den schwierigen Aufgaben, die auf unsere nächsten Generationen zukommen werden, wird gerade das Zusammenwirken von Technik- und Sozialwissenschaften unverzichtbar sein. Ich lege großen Wert darauf, dass wir diese Bereiche nach unseren Möglichkeiten erhalten. Allerdings wird das derzeitige Volumen eingeschränkt werden müssen.
Bleibt also nur noch die Option "Elite-Universität" zu werden und jährlich mit 50 Millionen Euro von Bundesbildungsministerin Bulmahn den Haushalt aufzustocken?
Prof. Pollmann: Wenn sich die Entwicklung so vollzieht, wie Frau Bulmahn sich das vorstellt, dass von der Bundesregierung Elite-Universitäten definiert werden, das wäre ja ein ganz sinnloses Verfahren. Wohl aber ist es gut, dass mit dem Elitegedanken die Aufmerksamkeit gelenkt worden ist auf leistungsfähige Universitäten und die Wichtigkeit der internationalen Anerkennung der Leistungen der Universitäten in Forschung und Lehre. Und der Elitegedanke sollte in der Weise positiv aufgenommen werden, dass Forschungsschwerpunkte, Fakultäten oder Zentren die Möglichkeit haben, sich um eine entsprechende Förderung zu bewerben. Das würde die Universitäten auf dem Weg stärken, ihr Forschungsprofil auszubilden und zu konzentrieren. Wenn das so gewendet wird – und ich bin mir ziemlich sicher, dass über den Wissenschaftsrat, die DFG und die Kultusministerkonferenz die Diskussion in diese Richtung gesteuert wird –, dann haben auch die Universitäten Braunschweig und Magdeburg ohne weiteres die Chance, in diesen Prozess selbstbewusst und mit großen Chancen hinein zu gehen.
Prof. Litterst: Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass Spitzenforschung gefördert wird. Ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, wage ich zu bezweifeln. Wir haben bewährte Instrumente, wie Spitzenforschung in Deutschland vorwärts gebracht werden kann, etwa die Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Diese sind international sichtbar; die Forschungsleistungen sind internationale Spitzenklasse. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie diese Instrumente weiterhin nutzen würde. Sie tragen zu mehr Renommee bei als politisch definierte Eliteuniversitäten, die in einem Wahlverfahren zu bestimmen sind.
Die so genannten Eliteuniversitäten in den USA machen einen nur sehr geringen Prozentsatz der amerikanischen Universitäten aus. Im Durchschnitt sind die amerikanischen Standards deutlich unter denen deutscher Universitäten anzusiedeln. Die deutschen Universitäten sollten mit einem größeren Selbstbewusstsein an ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten. Zusätzliche finanzielle Förderung vom Bund einwerben zu können, ist allerdings zu begrüßen.
Prof. Pollmann: Wenn diese Mittel dann nicht wieder von der Hochschulbau-Förderung abgezogen werden.
Prof. Litterst: Es wäre verhängnisvoll nicht nur für den Hochschulbau, sondern auch für die Ausstattung der neuen Professuren, weil aufwändige Laborausstattungen durch die Hochschulbau-Mittel mitgefördert werden.
Universitäten schaffen Arbeitsplätze, bringen Kaufkraft und bereichern das kulturelle Angebot. Welche Auswirkungen haben die Sparmaßnahmen für die beiden Hochschulen auf die Regionen Magdeburg und Braunschweig?
Prof. Pollmann: Ja, wenn Sie die Situation von Magdeburg sehen, mit den nach wie vor hohen Abwanderungen bezogen auf das Land Sachsen-Anhalt, Abwanderungen, die vor allem in der Alterskohorte der 18- bis 25-jährigen am massivsten auftritt, dann muss man die Frage stellen, welche Strategie gibt es für das Land, diesen unvermeidlich scheinenden Trend umzukehren? Und so sehr viele Möglichkeiten gibt es nicht, aber eine liegt auf der Hand und ist in den letzten Jahren doch schon erprobt worden, nämlich hier die Leistungskraft und die Attraktivität der Hochschulen des Landes zu nutzen. Bei uns ist es jetzt schon so, dass 50 Prozent der Studierenden von außerhalb Sachsen-Anhalts kommen. Wir werden in wenigen Jahren, bezogen auf Landeskinder, auf etwa die Hälfte des Studierendenpotenzials schrumpfen. Nun kann man darauf unterschiedlich reagieren. Man kann sagen, dann brauchen wir weniger Studienplätze oder aber man kann sagen, wir nutzen die Hochschulen, um hochleistungsfähige junge Leute ins Land zu holen. Jeder wird bestätigen, dass die letztgenannte Alternative vernünftig ist. Und insofern kann man dem Land nur raten, hier alles zu tun, die Hochschule attraktiv zu machen.
Prof. Litterst: Land und Stadt hoffen auf die Innovationskraft, die aus den Hochschulen entspringt. Wenn hier dramatische Einschränkungen gemacht werden, sei es in der Qualität, aber auch in der Quantität, so wird dies für das Land verhängnisvoll sein. Es wird die Axt an den Baum gelegt, der eigentlich uns in Zukunft alle ernähren sollte. Ich denke hier insbesondere an die mittelständische Wirtschaft und auch an die Industrie, die hier in unserem Umfeld angesiedelt sind und zum Großteil ihren Nachwuchs aus den hiesigen Hochschulen ziehen.
Zusammenwirken ist selbstverständlich geworden
Noch ein Blick in die Zukunft der Universitätspartnerschaft. Wie sollte sich die weitere Zusammenarbeit zwischen der TU Braunschweig und der Otto-von-Guericke-Universität gestalten?
Prof. Pollmann: Seit Unterzeichnung des Vertrages über die Partnerschaft der Universitäten in Braunschweig und Magdeburg im Jahr 1990 haben sich viele Gemeinsamkeiten in der Zusammenarbeit zwischen den Instituten beider Universitäten entwickelt. Es gibt hervorragende Kontakte zwischen Professoren und Wissenschaftlern beider Universitäten, die bekanntlich immer die Grundlage sind für eine aussichtsreiche Kooperation. Dieses Potenzial sollte auch in Zukunft genutzt werden. Die Universitäten sind in einer Umgebung situiert, die von starken Forschungsinstituten geprägt ist. Unsere Kooperation erstreckt sich auch auf diese Forschungsinstitute, die, denke ich, für beide Universitäten ein ganz, ganz wichtiges Potenzial darstellen, ich erwähne hier nur die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Wir haben einen gemeinsamen Sonderforschungsbereich.
Hier gibt es sicher auch in Zukunft noch Möglichkeiten, diese Kooperation zu intensivieren. Aus Sicht der Otto-von-Guericke-Universität ist das eine ganz notwendige Angelegenheit. Im nördlichen Sachsen-Anhalt sind wir relativ weit entfernt von anderen Universitäten, Braunschweig ist die nächstgelegene Universität und mit dem technischen Profil uns sehr verwandt. Also ist es nur sinnvoll und notwendig, dass wir auch in Zukunft eng kooperieren.
Prof. Litterst: Ich sehe, dass das Zusammenwirken der beiden Universitäten inzwischen sehr selbstverständlich geworden ist. Bei dem Selbstverständnis, das wir beide haben, ist es nicht notwendig, laufend spektakuläre neue Kooperationen zu melden. Dieses selbstverständliche Zusammenwirken ist ein Zeichen, wie gut man sich versteht.
Die missliche Lage mit der wir beide gegenwärtig konfrontiert werden, zeigt auf, dass neue Ideen der Kooperation entwickelt werden könnten. Ich schließe nicht aus, dass wir nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre aufgrund der räumlichen Nähe neue Wege finden könnten, gemeinsame Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Darüber sollten wir in der nächsten Zeit Gespräche führen.
Vielen Dank für das Gespräch.