Ist das Geist-Gehirn-Problem zu lösen?

20.04.2004 -  

Zwischen Philosophie und Neurowissenschaften

Die Neurowissenschaften sind ein Gebiet, dessen Wissenszuwachs in den zurückliegenden zehn Jahren explosionsartig war. Dabei kommen auch die höheren kognitiven und emotiven Funktionen des Menschen zunehmend in das Blickfeld. Urprünglich philosophische Begriffe wie Selbst, freier Wille, Bewusstsein etc. können empirisch untersucht und mit bestimmten Regionen und Zuständen im Gehirn verknüpft werden. Die Möglichkeit der Untersuchung der neuronalen Korrelate von philosophischen Begriffen wirft auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Geist und Gehirn, dem Leib-Seele-Problem, auf: Kann der Geist auf das Gehirn reduziert werden? Wo ist der Geist im Gehirn zu finden? Trotz des enormen Fortschritts in den vergangenen zehn Jahren konnte auch die Neurowissenschaft das Geist-Gehirn-Problem bisher nicht lösen.

Warum können weder Philosophie noch Neurowissenschaften das Geist-Gehirn-Problem lösen?

Diese Frage stellt sich der Psychiater, Neurowissenschaftler und Neurophilosoph Georg Northoff in seinem neuesten Buch "Philosophy of the Brain. The Brain Problem" (John Benjamins Publisher 2004, New York/Amsterdam). Der an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Magdeburg als leitender Oberarzt tätige Wissenschaftler stellt eine verblüffende Diagnose: Das Problem, welches der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Geist und Gehirn zugrunde liegt, ist nicht, wie meist üblich, der Geist, sondern die Definition des Gehirns. Das Gehirn wird sowohl in der Philosophie als auch in den Neurowissenschaften als eine rein physikalische und von der Umwelt isolierte Maschine aufgefasst, in der keinerlei Platz für geistige Phänomene ist. Northoff zeigt anhand von neuesten Ergebnissen der Hirnforschung, dass eine solche Auffassung des Gehirns empirisch nicht plausibel ist.

Definition des Gehirns

Wie ist seine Therapie? Er schlägt eine neue Definition des Gehirns als ein biologisches und intrinsisch mit der Umwelt verknüpftes Organ vor. Er entwickelt dementsprechend eine neue Theorie der Funktion des Gehirns, die sich an der Integration von Gehirn und Umwelt orientiert. Darüberhinaus zeigt er die philosophischen Implikationen seiner Theorie auf, für die Erkenntnistheorie (Epistemologie) und die Existenz- und Seinslehre (Ontologie). Er stößt hier in neue Bereiche der Neurophilosophie vor, indem er eine "Epistemologie und Ontologie des Gehirns" entwickelt.

Das überraschende Resultat seiner Überlegungen ist, dass das Geist-Gehirn-Problem ein Problem ist, dass sich unser Gehirn selbst schafft. Aufgrund seiner empirischen, epistemischen und ontologischen Konstitution kann unser Gehirn gar nicht anders als das Konzept eines Geistes anzunehmen. Um dann anschließend nach dem Zusammenhang desselben mit dem Gehirn zu fragen. Diese GeistIllusion unseres Gehirns kann aber überhaupt erst enthüllt werden, wenn das Gehirn nicht mehr als eine physikalische Maschine, sondern als ein biologisches Organ definiert und vorausgesetzt wird.

Northoff's Buch erschließt das spannende Themengebiet im Zwischenfeld zwischen Philosophie und Neurowissenschaften. Durch seine doppelte Ausbildung als Neurowissenschaftler und Philosoph ist er in der Lage, hier kompetent einen Bogen zu spannen und neue Problembereiche zu eröffnen. Das Buch ist somit sowohl für Neurowissenschaftler als auch für Philosophen und andere Interessierte von großem Gewinn. Sein gut lesbares Buch eröffnet dem Leser die faszinierende Welt der neuesten Befunde und Überlegungen zu geistigen Phänomenen und ihren Grundlagen in unserem Gehirn. Dem Leser des Buches wird so nicht nur eine radikal neue Sichtweise auf ein altes Problem, das Geist-Gehirn-Problem, eröffnet, sondern er bekommt auch Einsicht in sein eigenes sehr menschliches Gehirn.

Letzte Änderung: 20.04.2004 - Ansprechpartner: Webmaster