Mittelalter und neue Medien
Studentisches Forschungsprojekt
Im Rahmen eines studentischen Forschungsprojektes wurden neue Wege beschritten in der Auswertung mittelalterlicher Quellen (Urkunden und Geschichtsschreibung) mit Hilfe moderner Medien. Bisher beschränkte sich die Mittelalterforschung im Wesentlichen auf das Urkundenstudium der Historiker und die "Spatenforschung" der Archäologen. Eine Studentengruppe unter Leitung von Dr. Michael Kleinen, Institut für Geschichte, entwickelte in den vergangenen Monaten mit Hilfe computergestützter Datenbanken einen neuen, zeitgemäßen Zugang zu den Ereignissen vor mehr als 1000 Jahren und stellte im Mai 2004 ihre Arbeitsergebnisse vor.
Bedenkt man, dass allein Otto der Große rund 500 Urkunden der Nachwelt hinterließ, offenbaren sich schnell die Grenzen klassischer Arbeitsweisen. Zudem enthalten die Urkunden derart viele Informationen (Ausstellungsort und -zeit, Empfänger, Inhalt des Rechtsgeschäfts, Fürsprecher, Angaben zum Schreiber etc.), so dass im Vorfeld geklärt werden muss, welche Angaben überhaupt in der Datenbank erfasst werden sollen. Mit Hilfe der neuen Technik konnten die Studenten neben bekannten Forschungsmeinungen auch einige völlig neue Erkenntnisse zu Tage fördern. Ein Beispiel dafür, die "Sieben-Tage-Woche" Ottos des Großen: Für die Historiker war es überraschend, dass nahezu eine Gleichverteilung der Urkunden über die gesamte Woche festzustellen ist, und kein Tag besonders heraussticht (z.B. der Sonntag).
Mit Blick auf das 1200-jährige Stadtjubiläum Magdeburgs (2005) widmete sich der Vortrag der Geschichtsstudenten vor allem dem Verhältnis von Otto dem Großen zu Magdeburg. So bezieht sich der Vortragstitel "theutonum nova metropolis – Eine Stadt und ihr Kaiser" auf ein Zitat des mittelalterlichen Schreibers Brun von Querfurt über Magdeburg. Besonders in der lokalen Überlieferung wurde dieses Zitat zumeist (unkorrekt) mit "neue Hauptstadt der Deutschen" widergegeben – und darauf aufbauend ein glorifizierendes Gedankengebäude von der reichsweiten Bedeutung der Elbestadt errichtet. Richtigerweise müsste das Zitat Bruns aber eher mit "neue ostsächsische Metropolitan-/Erzbischofsstadt" widergegeben werden – was auf das 968 unter Otto dem Großen gegründete Erzstift Magdeburg und dessen Bedeutung für den Osten des Reiches hinweist. Abweichend zu landläufigen Ansichten der Magdeburger Geschichtsschreibung fanden die Nachwuchs-Forscher in den Urkunden keinen Beleg für die Förderung Magdeburgs durch Ottos erste Gemahlin, die angelsächsische Prinzessin Edgitha. Vielmehr war die zweite Gemahlin, die Italienerin Adelheid – deren Rolle in Magdeburg überraschend gering geachtet wird –, mit 14 nachgewiesenen Fürsprachen diejenige, die am stärksten für Magdeburg beim Herrscher eingetreten war.
Zudem stellten die Studenten in Frage, dass Otto der Große Magdeburg überhaupt als seine "Lieblingspfalz" erkoren hatte. Anhand der mittelalterlichen Geschichtsschreibung ließe sich vielmehr erkennen, dass die Siedlung an der Elbe eher ein Ausweichquartier für den jungen König war – da ihm von der eigenen Familie der Zugang zum Gedächtnisort seines Vaters Heinrich I., Quedlinburg, längere Zeit verwehrt wurde.
Von Kriegen überschattet
Heftige Auseinandersetzungen mit zahlreichen Großen des Reichs, häufige Kämpfe mit den Slawen östlich der Elbe und weitere Kriege an nahezu allen Außengrenzen des Reichs überschatteten die ersten beiden Jahrzehnte von Ottos Herrschaft. Nach Ansicht der Nachwuchs-Forscher zeigen die Quellen, dass es dem König in dieser Zeit nicht möglich war, Magdeburg planmäßig auszubauen und die Gründung des späteren Erzbistums bereits so frühzeitig im Blick zu haben. Erst nach der siegreichen Schlacht gegen die Ungarn (955) und der damit verbundenen Festigung seiner Herrschaft nach innen und außen konnte Otto ernsthaft an die Umsetzung solcher Pläne gehen, was sich auch mit den Befunden der Quellen (Urkunden, Briefe etc.) deckt.
Während sich das Projekt in seiner ersten Phase schwerpunktmäßig mit Otto dem Großen und seiner Beziehung zum Ort Magdeburg befasste, soll die Forschungsarbeit künftig auf die gesamte Epoche liudolfingischer Herrscher (also von Heinrich I. bis Heinrich II., 919-1024) erweitert werden. In Vorbereitung ist zudem eine wissenschaftliche Publikation über das neue Hilfsmittel Datenbank und die bisweilen überraschenden Forschungsergebnisse des Projektes.