Ein Stück unendlicher Himmel

09.12.2004 -  

Lyrikband von Elisabeth Graul vorgestellt

Im dr. harry-ziehten-verlag Oschersleben ist ein neuer Lyrikband der in Barleben lebenden Schriftstellerin Elisabeth Graul erschienen. 49 bisher unveröffentlichte Gedichte vereint er, illustriert durch Schwarz-Weiß-Photographien der Autorin mit Motiven von Wolken und Himmel.

Für Elisabeth Graul ist Himmel immer ein Stück Freiheit gewesen. Viele Jahre war diese Freiheit unerreichbar. Ihre Wünsche, Träume, Sehnsüchte vertraute sie den Wolken dieses für sie während ihrer elfjährigen Haft im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck vergitterten unendlich weiten Himmels an. Ihrer Würde und ihrer Hoffnung, gepaart mit Stärke und Kraft, konnten Repressalien und Demütigungen hinter Zuchthausmauern nichts anhaben. Mit elf Jahren Zuchthaus bezahlte Elisabeth Graul ihre aufrechte Gesinnung, ihre Kompromisslosigkeit. Sie wehrte sich gegen die Stalinisierung in der DDR, war Mitglied einer Widerstandsbewegung, wurde 1951 verhaftet. Damals war sie 23.

Jetzt im Alter ist für Elisabeth Graul der weite Himmel zum Greifen nah. Inmitten eines blühenden Refugiums, ein Meer aus Blumen, Farben und Düften auf der Terrasse ihrer Wohnung in Barleben mit der für sie symbolhaften, liebevoll gehegten Blume "blaue Trichterwinde", die ihrem 1998 erschienenen Lesebuch mit Prosa und Lyrik seinen Namen gab, genießt Elisabeth Graul jetzt ihre grenzenlose Freiheit. Hier schreibt die 76-Jährige Geschichten und Romane wie Shalom für Magdalena.

Nun sind es nach langer Zeit wieder Gedichte. Und wieder ist es eine Lyrik, die das bewegende und zugleich faszinierende Leben dieser aufrechten und kämpferischen Frau, die sich niemals anpasste und den leichteren Weg ging, literarisch auf eine ganz besondere, fast intime Art und Weise reflektiert. Nach den Lyrikbänden Ich brenne und ich werde immer brennen (1995), Türmer sein (1997) und Vogellieder – überwiegend heiter (1999) liegt nun der neue Lyrikband In dunkler Frühe sang die Amsel mit Gedichten aus den zurückliegenden Jahren vor.

Präzise Sprache

In ihrer 1991 erschienenen Autobiographie Die Farce, die Geschichte einer Verhaftung, über Prozess, Verurteilung und Haft im Frauenzuchthaus Hoheneck schreibt sie: "... Ich sehe nach oben, bewundere die dahinziehenden Wolken und denke: Wenn du jemals nur immer den Himmel sehen kannst, dann reicht das aus, um glücklich zu sein. ..." Nicht von ungefähr stellt Elisabeth Graul diese Zeilen ihren Gedichten voran. Glücklichsein auch in Zeiten lebensbedrohender Gefahr, Liebe, Zärtlichkeit und Verlangen, Naturerlebnisse, das Leben in

seiner ganzen Schönheit und Vergänglichkeit sind die Themen. Beeindruckend an ihren Gedichten ist die präzise Sprache, ihre detailgenaue und bildhafte Beschreibung von Beobachtungen in der Natur von Sonnenaufgang bis Abendstimmung. Es ist eine unkapriziöse, metapher- und bildreiche, ganz verständliche, fast "melodiöse" Sprache, mit der Elisabeth Graul es versteht, den Leser zu fesseln, ihn auch teilhaben zu lassen an ihrem Leben und an ihrem Schicksal. Bei aller Lebensbejahung – die Erinnerungen an die Jahre der Haft, die lebensbeschränkenden gesundheitlichen Spätfolgen lassen Elisabeth Graul nicht los; vor allem nicht in ihren wunderschönen Liebesgedichten in diesem Lyrikband (Mich trifft ein Blick, Ich habe dich noch niemals, Sein Lächeln ist schön). Und so gehören auch diese Gedichte als literarische Reflexion eines immer wiederkehrenden Albtraums erlittener Schmach und Leiden gleichsam wie ein stummer Schrei selbstverständlich zu dieser Edition (In dieser Nacht, Was treibt den Menschen, Wer hat an meiner Leber gehackt?).

Der neue Gedichtband ist ein Stück gelebtes Leben der Elisabeth Graul. Die Gedichte sind für Herz und Verstand gleichermaßen ein nachdenkliches und produktives Lesevergnügen.

Letzte Änderung: 09.12.2004 - Ansprechpartner: Webmaster