Zeuge einer längst vergangenen Kunst
Himmelsscheibe von Nebra unter dem Computertomographen
"Wir konnten in das Innere der Scheibe sehen", ist Prof. Dr. Rüdiger Bähr, Lehrstuhl für Ur- und Umformtechnik am Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung, begeistert. "Dies hat uns die Welt der bronzezeitlichen Handwerkstechniken im Gießen eröffnet." Die Scheibe ist die Himmelsscheibe von Nebra, die 1999 im Kreis Merseburg-Querfurt gefunden wurde. Mit ihren 3600 Jahren gilt sie als die älteste konkrete Sternendarstellung der Welt. Die Scheibe wiegt rund zwei Kilogramm und misst im Durchmesser 32 Zentimeter. Die Goldauflagen zeigen ein Schiff, Sonne, Mond und Sterne. Sieben Goldpunkte stellen den Sternenhaufen der Plejaden dar. Am Rand sind zwei Bögen, so genannte Horizontbögen, zu sehen.
Bronzeguss hatte Ruf
Das Unternehmen Himmelsscheibe begann für Rüdiger Bähr mit einem Zeitungsbeitrag über Funde von Gussformen aus dem Mittelalter zwischen Goldschmiedebrücke und Bärstraße der Landeshauptstadt. Das weckte seine Neugier. Denn neben der Gießereitechnologie für den modernen Automobilbau interessieren den Urformer auch die historischen Aspekte. Schließlich hatte der künstlerische Bronzeguss aus dem mittelalterlichen Magdeburg einen Ruf. Einige Arbeiten der Magdeburger Meister finden sich im Erfurter Dom, in der Sophien-Kathedrale von Nowgorod, Russland, oder im Dom zu Gniezno, Polen.
Professor Bähr besuchte die Archäologen, man kam ins Fachsimpeln und irgendwann auf die Himmelsscheibe zu sprechen. Schnell war der Kontakt zum Archäologen und Chemiker des Landesamtes für Archäologie in Halle, Christian-Heinrich Wunderlich, hergestellt. Er war begeistert vom Angebot des Magdeburger Fertigungstechnikers und dessen Industriepartner Rautenbauch Wernigerode, einen Blick ins Innere der Scheibe zu werfen. Zwischen einer Ausstellung in Halle und einer in Kopenhagen blieb nur wenig Zeit, ihre Geheimnisse unter dem industriellen Computertomographen des Unternehmens zu offenbahren. "Die Herstellung der Himmelsscheibe war eine absolute Meisterleistung", kommentierte Professor Bähr die Ergebnisse der Untersuchung. "Die bronzezeitlichen Handwerker verfügten über ungeheuer komplexes Wissen zu Legierungen und Gusstechnik, zum Schmieden und zur Oberflächenbearbeitung, aber auch in Mathematik für die Winkelberechnung und in Kunsthandwerk." Tatsächlich ist die Scheibe zunächst gegossen und dann geschmiedet worden. Erkannt wurden auch kleinere Herstellungsfehler wie Spannungsrisse auf der Rückseite der Goldauflagen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Himmelsscheibe von Nebra ein Einzelstück, eine Sonderanfertigung, ist. Wofür sie genutzt wurde, gibt aber noch immer Rätsel auf.
Die Forscher untersuchten zudem zwei bei der Scheibe gefundene Bronzeschwerter und machten dabei eine erstaunliche Entdeckung. Im Kampf wären ihre Klingen sofort in tausende kleine Stücke zerborsten. Sie sind durchsetzt von so genannten Lunkern, Löchern, die beim Gießen entstehen. Es waren also reine Prunkschwerter, deren extrem glatte Oberfläche durch viele tausende von feinen Schlägen mit winzigen Meißeln aus Bronze aufwendig bearbeitet worden war. Derzeit versuchen Archäologie-Studenten die Gussform für die Schwerter nachzubilden und mithilfe dieser, die Prunkwaffen im alten Verfahren zu gießen. Anleitung und Hilfe erhalten sie dabei vom Lehrstuhl für Ur- und Umformtechnik.
Im Herbst kommt die Himmelsscheibe nach Magdeburg an das Institut, um vermessen und digitalisiert zu werden. Am Computermodell können dann geometrische Größen, die Dichte der Werkstoffschichten, Oberflächenstrukturen oder innere Strukturen simuliert werden. Es gibt noch viele Fragen zur Himmelsscheibe von Nebra zu beantworten.