Der Drache in uns allen
Theatergruppe "DER SCHRANK" macht neugierig auf slavische Literatur
Egal ob Lehramt, European Studies, Magister oder schon erfolgreich exmatrikuliert - die Mischung der Akteure der Theatergruppe "DER SCHRANK" ist interessant. Zu ihrer Tradition haben sie die Inszenierung von Stücken aus der slavischen Literatur gemacht und sind damit in der freien Theaterszene der Landeshauptstadt ein beachtenswerter Mosaikstein. Ebenso traditionstgemäß sind die Auftritte der von Prof. Dr. Gudrun Goes geleiteten studentischen Theatergruppe zu den Magdeburger Studententagen. Zehn Studentinnen spielten in diesem Sommer die Märchenkomödie Der Drache von Jewgenij Schwarz und überzeugten im CampusTheater vor allem durch eine großartige Ensembleleistung mit dieser Märchenparabel.
Eine Herausforderung
Das Stück erlangte in der Inszenierung des Deutschen Theaters mit Eberhard Esche als Drachentöter Lancelot einen legendären Ruhm und gehört in der international gefeierten Inszenierung von Benno Besson mit 650 Aufführungen zu den Bestsellern des deutschen Theaters.
Was für eine Herausforderung für ein studentisches Theater mit zehn Darstellerinnen, die in 22 Rollen agieren und deren Spiel mit minimalistischer Ausstattung, knappen Effekten und ohne "Drachenzauberei" auskommen muss! Gudrun Goes ist es in ihrem Bemühen, die slavische Literatur und Dramatik vor allem jungen Leuten näher zu bringen wiederum gelungen, einen Komödienklassiker der sowjetischen Dramatik nach der Stalin-Ära für die Möglichkeiten einer studentischen Aufführung zu bearbeiten. Ihre Inszenierung mit einem äußerst spielfreudigen Ensemble trifft genau jene Intentionen des Autors, die auf die Demaskierung eines totalitären, menschenverachtenden diktatorischen Regimes (im Gewand eines bitter-bösen Märchenspiels) abzielen. Sie deckt mit viel Gespür für die Zwischentöne, mit Anspielungen und Parallelen zu Ereignissen der Zeitgeschichte im Stück die Mechanismen der Macht und der Austauschbarkeit der Mächtigen auf und entlarvt "den Drachen in uns allen".
Dazu braucht es keine Theatermaschinerie, keine märchenhafte Kulisse; wenige Utensilien - ein Sofa, ein langer Tisch - reichen aus. Die Art und Weise des Umgangs mit dem Text wird zum tragenden Element. Allein durch Sprache, Gestik und Mimik mit minimaler "Verkleidung" im Wechsel der Figuren gelingt ein praller, sinnlicher, komödiantischer und auch nachdenklich stimmender Theaterabend mit beachtlichen schauspielerischen Leistungen, wenngleich sprachlich nicht immer alles gleichermaßen gut und bühnentauglich gelang.
Überzeugend im Spiel Julia Huthmann als Ritter Lancelot und vor allem mit sprachlicher Bravour (wenn auch nicht immer textsicher) Heike Schulenburg als Bürgermeister und "Nachfolger" des von Lancelot getöteten Drachens. Berührend im Spiel ist Birgit Hartmann als Elsa, die dem Drachen geopfert werden soll und am Ende doch Lancelot heiratet. Elke Albersfelde mimt den dreiköpfigen Drachen, gekennzeichnet durch unterschiedlich gefärbte Augenmasken, äußerst gewandt im Spiel und sprachlich souverän. Christiane Hoffmann, Doreen Gleißer, Janina Schurich, Vivien Schwaneberg und Anne Hähner spielen in bis zu fünf Rollen. Bianka Großler stellt einen berechnenden karrieresüchtigen Bürgermeistersohn, tauglich für die Manipulation des Volkes, dar.
Ein Drache geht, ein anderer kommt. Nichts hat sich verändert. Lancelot kann nur davor warnen, nicht der einzigen Doktrin nachzuleben, sondern die Humanität vor der militanten Despotie zu schützen. Es ist eben ein Märchen und bleibt eine Utopie.