Staatsquote senken, Arbeitsmarkt reformieren
Erhard-Interpretationen des Chefvolkswirts der Deutsche Bank Gruppe Norbert Walter
Der Name Ludwig Erhard ist der Mehrheit der Deutschen bestenfalls aus Erzählungen der Großeltern oder gar nur aus Geschichtsbüchern bekannt. Und doch spielt Erhard, erster Wirtschaftsminister der jungen Bundesrepublik Deutschland (von 1949 bis 1963) und Nachfolger Konrad Adenauers als Bundeskanzler (von 1963 bis 1966), für die wirtschaftliche Entwicklung im Nachkriegsdeutschland eine herausragende Rolle. Was würde Erhard heute tun?, dieser Frage ging der Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe, Professor Dr. Norbert Walter, in einem Vortrag nach, den er Ende des Sommersemesters auf Einladung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft hielt.
Das Wirtschaftswunder
Erhard gilt noch heute als einer der Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft und auch als Initiator des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren. Seine Schrift Wohlstand für alle aus dem Jahre 1957 kann wohl als "Rezeptbuch" für eine funktions- und international wettbewerbsfähige Ökonomie angesehen werden. Selbstverständlich haben sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten nicht nur die Rahmenbedingungen auf zunehmend globaleren Märkten geändert. Auch die deutsche Wiedervereinigung hat deutliche Spuren in den sozialen Sicherungssystemen und den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Hinzu kommen anhaltende strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die durch den gleichzeitigen demographischen Wandel allenfalls mittel- bis langfristig gemildert werden können.
Mit Prof. Walter trat ein Redner vor das vollbesetzte Auditorium, der als konsequenter Verfechter einer auf den freien Kräften des Marktes beruhenden Wirtschaftsordnung angesehen werden kann, in der staatliche Institutionen primär "begleiten" und weniger "steuern". Nach seiner wissenschaftlichen Laufbahn am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel begann er 1987 in der volkswirtschaftlichen Abteilung seine Tätigkeit bei der Deutsche Bank AG. Seit 1992 leitet er als Geschäftsführer die Deutsche Bank Research GmbH und ist gleichzeitig Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe.
Was also würde Ludwig Erhard tun, um die ökonomische Situation Deutschlands nachhaltig zu verbessern? Zunächst einmal, so Norbert Walter, hätte er wohl wenig Verständnis für die hohe Staatsquote, bei der beinahe jeder zweite Euro durch die Hand öffentlicher Haushalte läuft. Hier würde er eine konsequente "Verschlankung" anregen, mit größerem Gewicht auf Eigenverantwortung und Steuersätze, die Unternehmen wettbewerbsfähig und private Haushalte konsumfreudig machen.
Bildung fördern
Ein besonderes Augenmerk würde Erhard nach Professor Walters Ansicht auf den Arbeitsmarkt richten. Nicht Arbeitslosigkeit verwalten wäre seine Devise, sondern Arbeitsbereitschaft fördern. Dies bedeute auch eine Abkehr vom starren Flächentarifvertrag, insbesondere in Branchen und Regionen, wo Lohnkostenzugeständnisse dauerhaft Arbeitsplätze sichern könnten. Auch zur Globalisierung hätte Erhard eine dezidierte Meinung. Es erscheint wenig Erfolg versprechend, mit den Billiglohnländern Schritt halten zu wollen, vielmehr sei es zwingend erforderlich, dass sich Deutschland auf seine hohen technologischen Standards und seine Innovationsfähigkeit besinne. Dazu gehöre allerdings eine konsequente Förderung der Aus- und Fortbildung, insbesondere an den Hochschulen, schrieb Prof. Walter den Politikern ins Stammbuch. Würde man sich auf die Wachstumsbranchen in Deutschland konzentrieren, zu denen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels vor allem der Gesundheitssektor gehöre, müsste Deutschland vor der Zukunft nicht bange werden. In der dem leidenschaftlichen und unmissverständlichen Referat folgenden, lebhaften Diskussion konnte Norbert Walter einige Thesen seines Vortrages vertiefen und ergänzen.