In den Slums von Mumbai
Sozial- und kulturwissenschaftliche Lehrforschung Magdeburger Studenten in Indien
18 Studierende waren Anfang Oktober 2007 zu Lehrforschungen in Mumbai, Indien. Diese standen unter den Rahmenthemen "Sozialer Aktivismus in Slums", "Parteien und Föderalismus" und "Soziale Identitäten im urbanen Raum" und wurden von den Instituten für Soziologie, Politikwissenschaft und Fremdsprachliche Philologien (Anglistik) veranstalteten. Kooperationspartner vor Ort war das Department of Sociology der University of Mumbai, mit der es einen langfristigen Universitätsvertrag gibt. Das Ziel solch sozial- und kulturwissenschaftlicher Lehrforschung ist, dass die Studierenden die verschiedenen Stadien des Forschungsprozesses (Vorbereitung und Antragstellung, Erhebung, Auswertung und Forschungsbericht) und die Auseinandersetzung mit Fremdkultur erfahren. In Kleingruppen wurden eigene Projekte und Interviews mit Unterstützung indischer Studierender und der Exkursionsleiter durchgeführt. Vorbereitet wurde die Lehrforschung in den drei Instituten im Sommersemester 2007, eine Auswertung der vielversprechenden Daten erfolgt in diesem Wintersemester. Prof. Dr. Heiko Schrader
Der von den Studierenden der Soziologie bearbeitete Themenkomplex "Sozialer Aktivismus in Slums" wurde von uns wiederum in zwei speziellere Themen aufgespalten. Eine Teilgruppe beschäftigte sich mit Anti-Kommunalismus, die andere mit Aktivismus im Bereich von Räumungen und Umsiedlungen von Slum-Bewohnern.
Kommunalismus bezeichnet die räumliche und meist auch ökonomische Trennung von Menschen, die sich als Angehörige verschiedener "ethnischer", religiöser oder politischer Gruppen sehen. Diese Segregation hat speziell in Mumbai in den 1980er und 90er Jahren eine besonders dramatische Zuspitzung erfahren, die durch die Agitation völkischer Nationalisten etwa in Gestalt der Shiv Sena Party immer wieder angeheizt wird.
In weiten Teilen der 20-Millionen-Metropole gab es unter anderem 1992/93 blutige Unruhen zwischen verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen. Die Folgen sind in vielen Stadtteilen bis heute deutlich erkennbar, der Umgang zwischen den verschiedenen Gruppen ist häufig von wechselseitigem Misstrauen geprägt und beschränkt sich auf das Allernötigste. Aktivisten, die sich gegen Kommunalismus engagieren, versuchen mit verschiedenen, durchweg sehr kreativen Herangehensweisen, Vorurteile abzubauen und die beteiligten Menschen dazu anzuregen, sich mit sich selbst und ihren Identitäten bewusst auseinanderzusetzen.
Spannungsreich ist in Mumbai nicht nur das Verhältnis der verschiedenen religiösen Gruppen, sondern auch die Wohnsituation der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Unglaubliche zwei Drittel der Bevölkerung leben in Slums oder Behausungen, die äußerst beengt sind und für uns selbstverständliche Einrichtungen wie Schulen, Sanitäranlagen oder eine Abfallentsorgung vermissen lassen. Erschwerend wirkt sich die rechtliche Unsicherheit auf die Lebensbedingungen aus, da die Siedlungen permanent von Räumungen bedroht sind oder diese bereits durchgeführt wurden. So war auch unser Thema, wie Betroffene und NGOs (Non-Governmental Organization - Nichtregierungsorganisation) auf drohende Räumungen reagieren, ob und wie Protestaktionen und ähnliches stattfinden, inwieweit es Kooperationen bzw. Verhandlungen mit Behörden gibt. Momentan lässt sich sagen, dass die Situation in den verschiedenen Slums sehr unterschiedlich ist. So gibt es Slums, die in der Vergangenheit bereits einmal demoliert wurden und wo die früheren Bewohner aus den Trümmern ihrer Häuser provisorische Unterkünfte bauten, deren erneute Räumung jedoch bereits feststeht (z.B. Dama Nagar). Dem gegenüber steht Dharavi, mit ca. einer Million Einwohner der größte Slum Asiens. In ihn setzen Stadtplaner und Investoren große Hoffnungen, da seine attraktive Lage ihn zu einem idealen Baugrund macht. Ein Teil der Wohnungen soll den dann ehemaligen Slum-Bewohnern zu sehr günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt werden. Dies ist sehr umstritten, weil einige Bewohner Dharavis befürchten, durch die Umsiedlung in Wohnblöcke Nachteile zu erleiden. Diese beiden Beispiele sollen nur exemplarisch die Komplexität der sozialen Situation in Mumbai verdeutlichen.
In Mumbai führten wir mit Betroffenen und Vertretern von NGOs (die häufig auch selbst persönlich betroffen waren) zahlreiche Interviews. Im Wintersemester 2007/08 werten wir diese in einem Fortsetzungsseminar aus und werden hierzu einen Forschungsbericht erstellen, der auch publiziert werden soll. Die Vorbereitung der Exkursion begann bereits im Sommersemester 2007 mit einem Einführungsseminar bei Prof. Dr. Heiko Schrader mit dem Titel Identity, Housing Problems and Social Activism in Mumbai/India.
Neben der unmittelbaren inhaltlichen Arbeit diente die Exkursion auch der Vertiefung der Kooperation zwischen dem hiesigen Institut für Soziologie und dem Department of Sociology an der University of Mumbai.