Warum heute Philosophie des Geistes studieren?
Über das Vorurteil der brotlosen Kunst und ein faszinierendes Studium
Wenn ein Abiturient auf neugieriges Fragen antwortet, er habe sich bei der heutzutage schier unermesslichen Vielfalt an Studiengängen dazu entschieden, ausgerechnet Philosophie zu studieren, ist die Reaktion seines Gegenüber recht eindeutig.
Zwar offenbart der staunende Blick seine Ehrfurcht vor der Philosophie. Immerhin heißt philosophieren im Prinzip ja denken, und denken kann zuweilen etwas anstrengend sein. Aber man wird gleichzeitig auch herzlich belächelt: Dass Philosophie eine brotlose Kunst ist, dass Philosophen gemeinhin als Taxifahrer enden, das weiß man ja.
Der ewige Taxifahrer?
Ich muss nun an dieser Stelle, ganz von meinem studentischen Standpunkt aus, sagen: Dass es um die Berufsperspektiven eines Philosophen weniger gut steht ist sicher richtig. Nicht jeder Philosophiestudent wird schließlich Philosoph. Er wird Journalist oder Gutachter, arbeitet im Verlagswesen etc. Der ein oder andere dürfte sich sicher auch mal mit dem Taxifahren sein Brot verdient haben. Aber: Wer meint, dass es so sein muss, und es scheinen viele zu sein, der irrt.
Die Themen, mit denen sich ein Philosoph heute beschäftigen kann - und das ist die Grundlage meines Studiums - sind die spannendsten und brisantesten überhaupt.
Ich persönlich hatte nun gute Gründe, mich für die Philosophie zu entscheiden. Dies lag auch hauptsächlich am Studiengang Philosophie - Neurowissenschaften - Kognition, den es erst seit zwei Jahren an der Universität Magdeburg gibt. Unser Studiengang - wir Studenten sagen auch gerne mal nur PNK - hat einen konkreten inhaltlichen Schwerpunkt: Philosophie des Geistes.
Wie Bewusstsein funktioniert
Wir Studenten eifern denjenigen Forschern nach, die versuchen, mittels Philosophie und Hirnforschung zu ergründen, was das Bewusstsein eines Menschen ist, was dieses Bewusstsein also ausmacht. Und dahinter stehen dann Fragen wie zum Beispiel: Was ist Geist? Wie funktioniert das Gehirn? Und mit Blick auf die Erkenntnistheorie: Inwiefern ist unser Bewusstsein vielleicht durch elektrisch-chemische Feuerwerke in unserem Gehirn bestimmt? Wie kann es sein, dass eine chemische Veränderung in unserem Gehirn Bedeutung haben kann? Dass ein bestimmter Hirnzustand also zum Beispiel eine Emotion wie Freude "repräsentieren" kann?
Was Hirnforschung liefert
Man muss hier aber klar festhalten, wir PNKler studieren nicht Psychologie oder gar Neurowissenschaften, sondern Philosophie des Geistes. Das heißt, die Vorlesungen und Seminare in Neurowissenschaften und Psychologie sind eine Ergänzung zum Philosophiestudium. Sie geben uns einen Überblick über Natur und Struktur, Arbeit- und Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Wir lernen das, was die Hirnforschung an neuesten Ergebnissen liefert.
Zum neurowissenschaftlichen Teil des PNK-Studiums muss ich sagen: Die meisten meiner Kommilitonen sind überaus fasziniert von dieser zunächst so unscheinbar wirkenden wabbeligen und walnussartig zerfurchten Masse namens Gehirn. Mindestens einmal beschäftigt einen da die Frage, ob man nicht doch direkt Neurowissenschaften studieren will. Spätestens als wir uns mit den neuronalen Prozessen in unserem Gehirn erstmals vertraut gemacht hatten, überschlug sich unsere Begeisterung für das wohl größte Wunder der Natur.
Voneinander abhängig
Um uns dieses Wunder zu verdeutlichen nennen Dozenten auch gerne mal konkrete Daten. Zum Beispiel, dass die Länge aller Nervenfasern allein im Gehirn so lang ist wie die Strecke von der Erde bis zum Mond und zurück (2 x 384000 km). Oder dass an der Entstehung eines Gedankens 10 bis 100 Millionen Neurone beteiligt sind. Oder dass im Gehirn mehrere 100 Billiarden Synapsen Sekunde für Sekunde Informationen austauschen.
Macht man sich einmal klar, dass es die Disziplin "Neurowissenschaften" erst seit wenigen Jahren gibt, hat man da ab und an mal den Wunsch, selbst zu forschen. Denn, was man über das Gehirn weiß, ist verschwindend gering.
Wenn ein angehender Student nun wissen möchte, wie das Gehirn im Großen und Ganzen funktioniert, dennoch aber weiß, dass er eher Philosoph als Naturwissenschaftler ist, wäre ein PNK-Studium nicht ganz abwegig. Wie gesagt, wir PNKler studieren ja schwerpunktmäßig Philosophie des Geistes. Womit man als PNKler irgendwann konfrontiert wird, ist, dass Philosophie und Neurowissenschaften in gewisser Weise abhängig voneinander sind.
Die genannten Fragen, zum Beispiel, was das Bewusstsein des Menschen ausmacht, kann ein Neurowissenschaftler im Grunde genommen nicht alleine beantworten. Auch ein Philosoph kann sie nicht alleine beantworten. Wenn man dieses mächtige Menschenrätsel Geist und Gehirn und Bewusstsein irgendwann doch ergründen möchte, muss man über die Ergebnisse der Hirnforschung auch philosophisch reflektieren. Es geht hier um systematische Argumentationsanalyse. Die Neurowissenschaften sind sozusagen wichtig für Philosophie und umgekehrt ist die Philosophie wichtig für die Neurowissenschaften.
Es ist aber auch nicht nur so, dass man als Philosoph die Ergebnisse der Neuroforschung nur kritisch beäugt bzw. die Ableitungen, die daraus hervorgehen. Es geht auch darum, die möglichen Folgen bestimmter Annahmen zu überprüfen.
Ein bekanntes Beispiel betrifft die Willensfreiheit des Menschen: die Determinismustheorie. Ganz grob, sie besagt, dass alles Tun und Handeln des Menschen genetisch festgelegt ist. Dass man einen freien Willen hat, ist nach Meinung einiger Philosophen dann nur eine Illusion.
Einmal kann man durchaus davon ausgehen, dass die zukünftigen Ergebnisse der Neuroforschung vielleicht klarer machen können, ob alles, was man tut oder besser wofür man sich entscheidet, unseren Genen entspringt oder nicht. Ein Philosoph hätte dann die Aufgabe, diese Ergebnisse zu überprüfen. Also zu überprüfen, ob der Determinismus zum Beispiel dann wahr sein kann oder nicht.
Philosophie kann sich lohnen
Wenn alles festgelegt ist, dann auch unser Wille? Wenn Willensfreiheit bloß eine großartige Illusion ist, welche Folgen hat man dann zu erwarten? Müsste das Strafgesetzbuch umgeschrieben werden? Dürfte es überhaupt eins geben? Denn könnte man für irgendwelche Vergehen zur Verantwortung gezogen werden, wenn man in seinen Entscheidungen eben nicht frei ist?
Meine Meinung ist, Philosophie kann sich lohnen und natürlich auch ein rein neurowissenschaftlich ausgerichtetes Studium. Was einen angehenden Philosophen nun vor der Arbeitslosigkeit schützen kann ist vor allem eines: Eigeninitiative. Unanstrengend ist das sicher nicht. Mir aber scheint, die Welt vergisst dann doch zu oft, dass sich Anstrengung auch mal lohnen kann. Und in Bezug auf die Philosophie und die "heute" zu lösenden Probleme, da lohnt sich etwas Mühe ganz besonders.
Kritisch reflektieren
Der Vorteil eines solchen Studiums schließlich ist - ob PNK oder "nur" Philosophie in Kombination mit einem anderen Fach -, dass man sein Leben viel mehr selbst gestalten kann, ganz nach Neigung und Vorliebe. Und explizit im Falle PNK, wird man später eher als der Rest der Welt in der Lage sein, kritisch über Errungenschaften der Neuroforschung zu reflektieren. Sie könnten schließlich tiefer greifende Folgen für das Leben des Menschen mit sich bringen. Dies alles, so jedenfalls meine Ansicht, ist es absolut wert, Zeit und Mühe zu investieren.