Immunzellen und Leichtbaumasten
Experimente unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit
Mehr als 40 Minuten befand sich der Airbus A300 ZERO-G während der Flüge der 13. Parabelflugkampagne Anfang Februar 2009 jeweils in der Schwerelosigkeit. Vom Flughafen Bordeaux aus startete das größte fliegende Labor der Welt zu insgesamt vier Flügen. Wissenschaftler nutzten sie für 16 Experimente in Biologie, Humanphysiologie, Physik, Materialforschung und Technologie. Mit an Bord waren der Magdeburger Honorarprofessor Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich sowie Marco Straubel und sein Team vom Braunschweiger Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Teamleiter Straubel und zwei seiner Kollegen sind Absolventen der Universität Magdeburg. In den drei- bis vierstündigen Flügen untersuchten Professor Ullrich und seine Mitarbeiter das Immunsystem des Gehirns in der Schwerelosigkeit. Marco Straubel und seine Kollegen testeten im A300 die Entfaltung sehr langer und extrem leichter Masten für Weltraummissionen.
Astronauten bekommen bei längerem Aufenthalt im Weltraum oft Probleme mit der Immunabwehr. Solange dieses "Immunproblem" nicht gelöst ist, sind Langzeitflüge im Weltraum kaum vertretbar. Fresszellen, so genannte Phagozyten, gehören zur angeborenen Immunabwehr des Körpers. Sie leisten einen enormen Beitrag bei der frühen Bekämpfung von Infektionen durch Bakterien und Pilze. Zusätzlich entfernen sie körpereigene Zellen, die abgestorben sind oder nicht mehr richtig funktionieren.
Haben die Phagozyten Partikel gefressen, bauen sie diese kontrolliert in ihrem Inneren ab. Die Funktion der Magensäure im menschlichen Verdauungssystem übernehmen in den Fresszellen bestimmte Enzyme und so genannte reaktive Sauerstoffspezies, auch als Radikale bezeichnet. Diese Radikale haben gleichzeitig eine wichtige Funktion für die Kommunikation mit anderen Zellen und für deren Aktivierung. Ein Zuviel an Radikalen kann jedoch enorme Schäden verursachen.
Mittels einer Lichtreaktion haben die Forscher die Radikalproduktion der Phagozyten während der verschiedenen Phasen des Parabelflugs direkt verfolgt. Sie wollten zum einen herausfinden, ob Radikale eine Rolle bei der Unterdrückung des Immunsystems (Immunsuppression) von Astronauten spielen, die in Schwerelosigkeit auftritt. Zum anderen lassen sich dadurch auch grundlegende Mechanismen der Aktivierung von Immunzellen erforschen. Ein genaues Wissen über die Ursachen von Immunsuppression ist auch für die vielfältigen Erkrankungen des Immunsystems auf der Erde unerlässlich. Das gleiche Experiment ist für das Jahr 2010 auf der Raumstation ISS eingeplant und durchlief während dieser Parabelflug-Kampagne eine wichtige Probephase.
Einer der Flüge während der 13. Parabelflugkampagne war ausschließlich für die Wissenschaftler des Braunschweiger DLR-Instituts allein reserviert. Sie hatten das größte Experiment aufgebaut, das in Europa jemals an Bord eines Parabelflugzeugs durchgeführt wurde.
Im Fokus der Untersuchungen stand ein extrem leichter und zudem aufrollbarer Mast aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK). Dank der Materialdicke von nur 0,1 Millimeter wiegt ein acht Meter langes Exemplar gerade einmal 500 Gramm. Trotz des geringen Gewichts sind diese Masten sehr steif und sollen bei zukünftigen Weltraummissionen als Basis großer Systeme wie Sonnensegel, Solarkollektoren und Antennen genutzt werden. Aufgrund ihrer speziellen Geometrie können diese Leichtbaumasten aufgerollt und sehr platzsparend verstaut werden; 14 Meter finden quasi Platz in zwei Schuhkartons. Der beim Aufrollen in eine Form gezwängt Mast, ist ständig bestrebt, sich selbst wieder abzurollen. Um die Entfaltung kontrolliert und reproduzierbar ablaufen zu lassen, sind Kontrollkonzepte erforderlich. Diese zu testen, war das Hauptziel der Experimente im Parbelflug-Airbus. Doch auch der Umkehrfall war für die Forscher interessant. Einige Parabeln nutzten sie, um das Abwickeln und Herausfahren bewusst unkontrolliert ablaufen zu lassen.