„... aller Männerkultur zum Trotz“
Ein Buch, das Frauen Mut macht und die Männerwelt zum Nachdenken anregt
Tobies, Renate (Hrsg.):
„Aller Männerkultur zum Trotz“– Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften
288 Seiten, 28,00 DM
Campus Verlag, Frankfurt/M., New York 1997
ISBN 3-593-35749-6
In seinem Geleitwort zu dem von Renate Tobies herausgegebenem Buch Aller Männerkultur zum Trotz vermerkt Knut Radbuch, daß die „intellektuelle Autonomie den Frauen von der durch Männer dominierten Gesellschaft vorenthalten war ... Es handelt sich nicht um eine Unmündigkeit der Frauen, sondern vielmehr um eine Unmündigkeit der Gesellschaft“. Die biografischen Skizzen, die in diesem Buch zusammengefaßt sind, verknüpft mit einer akribischen Aufarbeitung von Zeitdokumenten und Selbstzeugnissen, geben interessante Einblicke in die Lebensumstände dieser Frauen. Dabei erfährt man Erstaunliches, z.B. daß Frauen bevorzugt Mathematik und Naturwissenschaften als Studienfächer wählten, als sich die Tore der Universitäten erstmals für sie öffneten, Ausländerinnen den Weg für Frauen an deutsche Universitäten ebneten und Mathematikerinnen und Naturwissenschaftlerinnen als erste den Doktortitel erwarben.
Aus Geschichte lernend
Dieses historiografische Buch entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Kaiserslautern. Es richtet den Blick darauf, aus der Geschichte lernend Nützliches für gegenwärtige Entwicklungen abzuleiten. Erstmalig wurden umfangreiche Quellen aus Universitätsbibliotheken, Staats- und Unternehmensarchiven gesichtet, Promotionsakten und andere, auch persönliche Aufzeichnungen der Frauen, ausgewertet. So ist dieses Buch in seinen neun einzelnen, ganz unterschiedlichen Beiträgen zwar in „emanzipatorischer Absicht“ geschrieben, aber vielmehr als ein Buch über Emanzipation, über Frauenkarrieren in Mathematik und Naturwissenschaften, als ein vordergründiger „Vergleich der Geschlechter“. Es ist eine sehr genaue Gesellschaftsanalyse, die detaillierte Einblicke in Zeitumstände und Hintergründe individueller Schicksale in einer Zeit der stürmischen Entwicklung von Mathematik und Naturwissenschaften in Deutschland vermittelt, besonders eindrucksvoll am Beispiel der Mathematikerin Sofia Kowalewskaja und ihrer Freundin, der Chemikerin, Julia Lermontowa von Cordula Tollmien herausgearbeitet. Die von Tobies in ihrem, sich auf 190 ausgewertete Originalquellen stützenden Beitrag, in zehn Thesen formulierten Einflußfaktoren auf die Karrieren von Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften (z.B. „Eine erfolgreiche Karriere im akademischen Beruf setzte den weitgehenden Verzicht auf ein Familienleben voraus“) haben auch heute noch zum Teil Gültigkeit.
Frauen und Intelligenz
Die Thesen bilden eine Art „Klammer“ für alle anderen Beiträge in diesem Buch. Besonders aufschlußreich sind die Beiträge von Irene Pieper-Seier über Ruth Moufang, eine Mathematikerin zwischen Universität und Industrie, sowie von Jeffrey A. Johnson über Frauen in der deutschen Chemieindustrie von den Anfängen bis 1945, weil hier auch die Beziehungen zwischen „reiner“ und angewandter Wissenschaft sehr anschaulich thematisiert werden.
Der theoretische Beitrag von Lorraine Daston ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil er den Schnittpunkt zweier scheinbar gegensätzlicher, aber in der historischen Entwicklung maßgeblich verbundener Entwicklungen, nämlich die Geschichte der Polarität von männlich/weiblich und der des Begriffs Intelligenz, beleuchtet. Marie Vaerting, eine der frühen Doktorinnen der Mathematik, sagte 1912: „Aller Männerkultur und Kunst, allen Weiberkörpern und Balletts zum Trotz, widmen wir uns der Mathematik und Naturwissenschaften“. Dieses engagiert und streitbar geschriebene wissenschaftliche Buch kann vielen Frauen auf diesem Weg Mut machen und zwingt gleichermaßen die „Männerwelt“ zum Nachdenken. Ich habe sehr viel dazu gelernt!
Prof. Dr. Herbert Henning