Warum Mehrmarkenpolitik?
Gastvortrag zur Neuausrichtung der Marken in einem Automobilkonzern
„Mehrmarkenpolitik im Automobilbereich am Beispiel des Volkswagen-Konzerns“ hieß das Thema, zu dem Dr. Gerd Burmann, ehemals Leiter des Konzern-Marketings der Volkswagen AG, in einem von Prof. Dr. Bernd Erichson veranstalteten Gastvortrag des Lehrstuhls für Marketing an unserer Universität sprach.
Das Problem: Marken aktiv nutzen oder sterben lassen?
Die Volkswagen AG kaufte in den 60er Jahren AUDI und nutzte die Produktionskapazitäten zunächst im wesentlichen zur Herstellung des VW-Käfers. Anfang der 70er Jahre fiel dann die Entscheidung, aus AUDI eine eigenständige Marke zu machen und fortan wurden mit dem Markenzeichen VW kleine und mittelgroße Fahrzeuge vertrieben, während AUDI PKW der Mittel- und Oberklasse anbot. Zehn Jahre nach dieser Entscheidung erwarb Volkswagen das spanische Unternehmen SEAT mit dem Ziel, eine aktive Rolle im spanischen Markt zu spielen. Schließlich in den 90er Jahren mit der Ost-West-Entspannung wurde SKODA gekauft, um in den neu entstehenden osteuropäischen Märkten schnell eine Absatzposition aufzubauen.
Im Resultat besaß die Volkswagen AG Mitte der 90er Jahre vier verschiedene Marken und stand vor der Entscheidung, entweder die Rollen dieser Marken im Konzern neu festzulegen oder Marken „sterben“ zu lassen.
Der Hintergrund: Trends im Automobilmarkt
Der Automobilmarkt ist gekennzeichnet durch eine fortschreitende Globalisierung, die in der Regel durch neue Anbieter zu einer Verschärfung des Wettbewerbs führt. Weiterhin wünschen sich die Kunden immer unterschiedlichere und individuellere Fahrzeuge, während sich die Automobile technisch immer stärker ähneln. Technische Neuerungen bieten keine großen Möglichkeiten mehr, einen Vorteil im Wettbewerb zu erzielen, da große technische Durchbrüche selten sind und Neuerungen im kleinen Rahmen häufig schnell von Wettbewerbern kopiert werden. Damit wächst die Bedeutung von Marken, die den Kunden die Möglichkeit geben, ihre persönliche Individualität durch die Wahl ihres Autos auszudrücken. Notwendig hierfür ist allerdings, daß die Automarke durch die Art der Gestaltung bzw. durch ihr Design klare Signale setzt.
Die Idee des Marketing: Was will der Kunde?
Standen früher der Besitz bzw. die Bezahlbarkeit eines Autos, der Gebrauchsnutzen oder technische Eigenschaften wie Höchstgeschwindigkeit oder Beschleunigungswerte im Vordergrund, so sind diese Eigenschaften heute für die Kunden selbstverständlich.
Um im Wettbewerb zu bestehen, müssen jetzt erweiterte Kundenerwartungen erfüllt werden. Bezogen auf die Qualität betreffen diese Erwartungen das Design, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit im Auto und die Umweltfreundlichkeit. Erwartungen bezüglich des Images beziehen sich auf Individualität, auf den Umgang des Unternehmens mit dem Kunden sowie auf das Verhältnis des Herstellers zur Gesellschaft.
Die neue Strategie: Für jede Marke eine andere Rolle
Bei der Erfüllung der erweiterten Kundenerwartungen können Marken in großem Maße helfen. Da die Kunden immer unterschiedlichere Erwartungen und Wünsche zeigen, hat ein Unternehmen mit mehreren verschiedenen Marken größere Chancen, die Kundenerwartungen genau zu treffen.
Allerdings birgt eine solche Strategie auch Risiken, wie eine nicht hinreichende Unterscheidbarkeit und Eigenständigkeit der Marken, die Gefahr eines Wettbewerbs im eigenen Haus („Kannibalisierung“) sowie höhere Kosten durch kompliziertere Entscheidungen und Abläufe.
Gerade der Gefahr einer Kostenexplosion konnte bei Volkswagen durch die sogenannte Plattformstrategie begegnet werden. Dahinter steht die Idee, die Bodengruppe mit dem Fahrwerk für unterschiedliche Modelle zu vereinheitlichen. Diese Modelle besitzen die gleiche Plattform und unterscheiden sich durch verschiedenartige Karrosserien und Innenausstattungen. So basieren der Audi A3, der Golf IV und der Skoda Oktavia auf derselben Plattform.
Die Hauptaufgabe einer neuen Mehrmarkenstrategie bestand nun in der Neufestlegung der Rollen der einzelnen Marken im Konzernverbund. Hierzu wurde eine umfassende Untersuchung des Marktes durchgeführt. Ergebnis war eine Einteilung der Konsumenten auf der Basis ihrer Einstellungen in vier unterschiedliche Gruppen (Segmentierungsanalyse).
Ebenfalls ergab sich eine Neubestimmung der wichtigsten kaufrelevanten Eigenschaften jeder einzelnen Marke (Positionierungsstrategie), so daß sich die vier Konzernmarken nun grundlegend voneinander unterscheiden. Weiterhin wurde festgelegt, gegen welche strategischen Wettbewerber jede der Marken antreten soll: VW gegen MERCEDES und LEXUS, AUDI gegen BMW und JAGUAR, SEAT gegen ALFA ROMEO und LANCIA und SKODA gegen VOLVO und ROVER.
Das Ergebnis: Durch bessere Erfüllung der Kundenwünsche mehr Kraft im Wettbewerb
Durch die Neuentwicklung einer Mehrmarkenstrategie im Volkswagen-Konzern wurde aus dem Problem, durch den Zukauf von Unternehmen im Laufe der Zeit mehrere Marken steuern zu müssen ein strategischer Wettbewerbsvorteil. Mit der Neuausrichtung der vier Konzernmarken ergibt sich die Chance, die immer unterschiedlicheren Kundenwünsche besser erfüllen zu können als die Wettbewerber und damit den verschärften Marktbedingungen besser zu begegnen.
Jürgen Maretzki