„Wille zum Glücklichsein“ statt „Wille zur Wahrheit“

Der amerikanische Philosoph Richard Rorty sprach über Aufklärung und Postmoderne

„In Magdeburg begrüße ich jetzt Professor Rorty“ – Mit diesen Worten eröffnete Ernst Grandits, Moderator der Sendung „Kulturzeit“, das Fernseh-Gespräch, das von dem ZDF-Kulturprogramm 3 Sat mit dem dritten Gastredner der Madgeburger Otto-von-Guericke-Vorlesungen kurz vor Vortragsbeginn aufgezeichnet wurde. Während der sympathische Intellektuelle im voll besetzten Hörsaal 5 des M-Gebäudes unserer Universität noch mit dem Publikum über seinen Vortrag zum Thema „Kontinuitäten zwischen Aufklärung und Postmoderne“ diskutierte, flimmerte das TV-Gespräch mit Rorty – „einem der wichtigsten politischen Denker der USA“ (Grandits) – bereits über die Mattscheibe. In der MDR-Sendung „Sachsen-Anhalt heute“ gab es ein aufgezeichnetes Interview und Bilder aus dem Hörsaal.

Auch die Printmedien ließen sich den einzigen Deutschland-Auftritt des derzeit weltweit am meisten diskutierten Philosophen nicht entgehen. Noch bevor die Berliner Tageszeitung, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau ihre Vortragsberichte veröffentlichen konnten, präsentierte die Volksstimme in der Reihe „Gedanken zur Zeit“ ein ganzseitiges Gespräch mit dem „weltbekannten amerikanischen Philosophen“. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ druckte noch einen Monat später ein ganzseitiges Interview ab, das in Magdeburg geführt worden war.

Die Philosophie

Was macht den zurückhaltenden Philosophen aus Amerika, der die Philosophie zum ironischen Privatvergnügen einiger privilegierter Intellektueller erklärt und den „Willen zur Wahrheit“ durch den „Willen zum Glücklichsein“ zu ersetzen rät, so interessant und medienbegehrt? Die Faszination, die von Rorty ausgeht, hängt mit der trockenen Redlichkeit und der erfahrungsgesättigten Entspanntheit zusammen, die nicht nur den Menschen, sondern auch den Denker Richard Rorty auszeichnet. Das machte Professor Wolfgang Welsch, dem es gelungen war, Rorty als Gastredner für die Otto-von-Guericke-Vorlesungen zu gewinnen, in seiner Einführung zu Beginn der Veranstaltung deutlich. Im Zentrum von Rortys Philosophie steht Welsch zufolge eine strenge Abgrenzung zwischen den Bereichen des Öffentlichen und des Privaten.

Im öffentlichen Diskurs geht es um Fragen der Gerechtigkeit, der Chancengleichheit, der Verminderung von Leiden und Grausamkeit sowie der Vermehrung von Solidarität. In der Domäne des Privaten hingegen dreht sich alles um die „individuelle Selbsterschaffung“, d.h. um die idiosynkratischen Phantasien, die eigenwilligen Gedanken und verrückten Träume, die jeder von uns hat, aber für sich behält oder nur mit seinen Freunden oder seinem Psychoanalytiker bespricht.

Die Pointe von Rortys Denken besteht in dem Ratschlag, beide Sphären streng getrennt zu halten, d.h. die Vorstellung aufzugeben, daß irgendeine Philosophie oder Ideologie uns eine Formel an die Hand geben könnte, wie sich unsere privaten Wunschträume mit der öffentlichen Politik der Gemeinschaft, in der wir leben, versöhnen ließen. Nach Rorty bedarf es einer solchen Versöhnung deshalb nicht, weil beide Bereiche nebeneinander existieren können, ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen. Man kann durchaus ein guter Liberaler sein, während man privat nur Briefmarken sammelt oder Vögel beobachten will.

Aufklärung und Postmoderne

In seinem Vortrag über „Kontinuitäten zwischen Aufklärung und Postmoderne“ machte Rorty darüber hinaus klar, daß die klassischen Philosophen der Aufklärung von Locke bis Kant noch daran glaubten, daß es sich bei den demokratischen Idealen um absolute Werte handle, die im Inneren der ursprünglich guten Natur des Menschen begründet seien. Unter „Postmoderne“ wird in der Philosophie der Gegenwart demgegenüber gerade ein Denken verstanden, das die Möglichkeit in Zweifel zieht, über das innere Wesen des Menschen eine verbindliche Auskunft zu geben. Der Mensch ist dieser Ansicht nach nicht an sich gut oder böse, sondern er ist das, was Kultur, Medien und Erziehung aus ihm machen – oder was er auf solchen Wegen aus sich macht. Die von Rorty geforderte postmoderne Radikalisierung der politischen Aufklärung besteht in dem Versuch, die Ideale der Aufklärung als historische und kulturelle Errungenschaften zu begreifen, für die es sich zu kämpfen lohnt, gerade weil wir nicht die Sicherheit haben, daß sie im Wesen des Menschen verankert sind, sondern wir uns jeden Tag aufs neue für sie einsetzen müssen.

Mike Sandbothe

Letzte Änderung: 24.09.1997 - Ansprechpartner: Webmaster