Unsere Welt ist voller Strukturen

24.11.1997 -  

Amerikanischer Experimentalphysiker Guenter Ahlers hielt Guericke-Vorlesung

Daß naturwissenschaftliche Phänomene nicht nur die Neugier anregen und den Forscherdrang herausfordern, sondern auch für das ästhetische Empfinden etwas zu bieten haben, zeigte der amerikanische Experimentalphysiker Guenter Ahlers Mitte Oktober 1997 in einem öffentlichen Vortrag. Er hielt ihn im Rahmen der Otto-von-Guericke-Vorlesungen, die von der Norddeutschen Landesbank (NORD LB), Mitteldeutsche Landesbank gefördert werden.

Unsere Welt ist voller Strukturen

Der renommierte Physiker stellte die Strukturbildung in der Natur und im Labor vor. Als Untertitel wählte er „Von der Ordnung zur Unordnung“. Die Nichtlinearität in der Natur bilde an unserer Universität einen fakultätsübergreifenden Forschungsgegenstand, hob Rektor Prof. Dr. Harald Böttger in seinen einleitenden Worten hervor und ordnete damit diese 4. Guericke-Vorlesung in die wissenschaftliche Schwerpunktsetzung an der Universität ein.

Unsere Umwelt ist voll von Strukturen. Viele sehen wir mit dem bloßen Auge wie beispielsweise das Fell von Tieren, die rollenartigen Strukturen des Dauerfrostbodens auf Spitzbergen, Korallenriffe oder Wellen auf dem Ozean. Andere werden erst unter Zuhilfenahme technischer Geräte erkennbar wie Strukturen, die beim Ablauf chemischer Reaktionen auftreten oder durch Spezialkameras sichtbar gemachte Windwirbel hinter einer Insel oder einem Berghang. Experimente im Labor helfen den Forschern beim Verständnis dieser Erscheinungen ebenso wie numerische Theorien. Das Ziel der Wissenschaft, die Wahrheit herauszufinden, werde auch in der Naturwissenschaft nur zu einer relativen Wahrheit führen. Ständig entwickelten sich die experimentellen Möglichkeiten weiter. Die daraus zu ziehenden Schlüsse änderten sich und die dazugehörigen Theorien müßten überdacht und überarbeitet werden. Das führe oft zu fundamentalen Veränderungen im Leben der Menschen, so die These des amerikanischen Gastredners. Deshalb sei eine Zusammenarbeit von beispielsweise Physikern und Soziologen, Ethikern, Philosophen ... unabdingbar. Die heutzutage erreichten wissenschaftlichen Fortschritte in der Biologie und Biochemie hätten ebenso schwerwiegende Konsequenzen für die Menschheit wie beispielsweise vor Jahrzehnten die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Atomphysik.

Ein Untersuchungsgegenstand aus der Hydrodynamik ist derzeitiger Forschungsschwerpunkt von Guenter Ahlers. In der Rayleigh-Benard-Konvektion untersucht er die Strukturbildung in erwärmter Flüssigkeit. Bekannt geworden ist der Physiker durch die Erforschung des Übergangs des flüssigen Edelgases Helium in den superfluiden Zustand. In diesem „seltsamen“ Zustand setzt die Flüssigkeit der Bewegung keinen Widerstand mehr entgegen. Der Übergang vollzieht sich bei extrem tiefen Temperaturen von minus 270 Grad Celsius. Dem amerikanischen Forscher gelang es, diese Messungen mit einer Temperaturauflösung von einem Millionstel Grad durchzuführen, einer bis dahin nicht erreichten Präzision. Mit ähnlich präzisen Messungen zu hydromechanischen Instabilitäten revolutionierte er das Gebiet der Hydromechanik.

 

Professor Ahlers lehrt und forscht an der Universität Santa Barbara/Kalifornien. Dort leitete er eine Arbeitsgruppe von 30 internationalen Wissenschaftlern. Mitte der 80er Jahre gehörte Prof. Dr. Ingo Rehberg vom Institut für Experimentelle Physik zu dieser Arbeitsgruppe. Professor Rehberg lud den Amerikaner zum Gastvortrag in die Elbmetropole ein. Sein Spezialgebiet, die Tieftemperaturphysik, sei ohne das Vakuum nicht zu untersuchen, erklärte Guenter Ahlers. Deshalb nahm er die Einladung gern an, die Stadt kennenzulernen, in der der große Vakuumforscher Otto von Guericke lebte.

Die Zuhörenden verließen den Hörsaal nicht nur mit dem Wissen darüber, daß die Erforschung von Strukturen, ob in Ordnung oder im Chaos, für die Menschen relevant und die Wissenschaftler interessant ist, sondern auch mit dem Eindruck der Ästhetik dieser Strukturen.

Letzte Änderung: 24.11.1997 - Ansprechpartner: Webmaster