Vergessen durch Erinnern
Hirnforscher entdecken neuronalen Maker
So paradox es klingen mag: Vergessen kann durch aktives Erinnern verursacht werden. Durch das Erinnern beispielsweise an die derzeitige Telefonnummer, wird gleichzeitig die alte Telefonnummer weniger abrufbar. Forscher der Universitäten Magdeburg und Regensburg konnten nun anhand der Hirnaktivität von Probanden zeigen, dass Hemmungsprozesse bei der Entstehung dieses Vergessens eine maßgebliche Rolle spielen.
Abrufinduziertes Vergessen
Diese Art der Hemmung ist ein normaler Mechanismus, der vermutlich dabei hilft, das Gedächtnis effizient nutzen zu können. Beim Abrufen von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis werden die abgerufenen Inhalte (wie die neue Telefonnummer) gestärkt, gleichzeitig aber auch verwandte, potenziell störende Gedächtnisinhalte (wie eben die alte Telefonnummer) geschwächt und dadurch Gegenstand verstärkten Vergessens. Dieses so genannte abrufinduzierte Vergessen ist in höchstem Maße adaptiv, da so die Störung durch momentan irrelevante Erinnerungen (Interferenz) reduziert wird. Es ist jedoch nach wie vor umstritten, ob abrufinduziertes Vergessen entsteht, weil die störenden Inhalte beim Abruf durch Hemmung (Inhibition) langfristig geschwächt werden oder ob vielmehr die Stärkung der abgerufenen Inhalte den Zugriff auf verwandte Erinnerungen kurzfristig blockiert.
23 Probanden
Dass es sich bei dieser Art von Vergessen tatsächlich um eine langfristige Schwächung von Erinnerungen durch Inhibition handelt, konnten nun kongnitive Neurowissenschaftler der Universitätsklinik für Neurologie der Universität Magdeburg und des Instituts für Experimentelle Psychologie der Universität Regensburg zeigen. In einer gemeinsamen Studie sollten 23 Probanden bestimmte zuvor gelernte Gedächtnisinhalte aktiv abrufen. Tatsächlich zeigte sich, dass im Anschluss verwandte (d.h. potenziell störende) Gedächtnisinhalte schlechter erinnert bzw. eher vergessen wurden als unverwandte (d.h. potenziell nicht störende).
Dabei konnten Dr. Maria Wimber und Dr. Alan Richardson-Klavehn aus der Forschungsgruppe Gedächtnis und Bewusstsein bzw. Memory and Consciousness Group und ihre Kollegen feststellen, dass am Abruf dieser schlecht erinnerten Inhalte insbesondere solche Hirnregionen beteiligt sind, die für die Reaktivierung schwacher Gedächtnisrepräsentationen zuständig sind. Je mehr abrufinduziertes Vergessen ein Proband zeigte, desto höher die Aktivität in besagten Regionen des Stirn- und Schläfenlappens. Dagegen konnte in Hirnregionen, die bei der kurzfristigen Blockierung von Gedächtnisinhalten eine Rolle spielen sollten, kein vergleichbares Muster gefunden werden. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten die Hirnforscher in der Dezember-Ausgabe des Journal of Neuroscience.
Diese neurowissenschaftlichen Befunde liefern starke Evidenz für die lange umstrittene Existenz von hemmenden Mechanismen im menschlichen Langzeitgedächtnis. Solche Mechanismen machen unser Gedächtnis effizienter, indem sie dabei helfen, aus der riesigen Menge an gespeicherten Informationen im Gedächtnis zu einem gegebenen Zeitpunkt die gewünschte Information abrufbar zu machen.